Theoretische Grundlagen der Philosophie: Probleme, Konzepte, Prinzipien
Wissenschaft
Philosophie und die Entwicklung der Wissenschaft
Wir haben gesehen, dass die philosophischen Grundlagen der Wissenschaft sehr heterogen sind. Dennoch lassen sich in dieser Heterogenität einige relativ stabile Strukturen herausarbeiten.
Beispielsweise kann man in der Geschichte der Naturwissenschaften (vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart) mindestens drei sehr allgemeine Typen solcher Strukturen identifizieren, die mit den jeweiligen Phasen der wissenschaftlichen Entwicklung zusammenhängen: die Phase der klassischen Naturwissenschaften (ihr Abschluss — Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts), die Phase der Entstehung der nichtklassischen Naturwissenschaften (Ende des 19. bis erste Hälfte des 20. Jahrhunderts) und die Phase der modernen nichtklassischen Naturwissenschaften.
In der ersten Phase war die grundlegende Haltung, die die verschiedenen philosophischen Prinzipien durchzog, die Idee der absoluten Souveränität des erkennenden Verstandes, der, als ob er von außen die Welt betrachtete, in den Erscheinungen der Natur deren wahre Essenz enthüllt. Diese Haltung konkretisierte sich in einer besonderen Interpretation der Ideale und Normen der Wissenschaft. Es wurde beispielsweise angenommen, dass Objektivität und Sachlichkeit des Wissens nur dann erreicht werden können, wenn alles, was sich auf das Subjekt, die Mittel und Verfahren seiner Erkenntnistätigkeit bezieht, aus der Beschreibung und Erklärung ausgeschlossen wird. Diese Verfahren wurden als gegeben, als nicht-historisch angenommen. Das Ideal der Erkenntnis war der Aufbau eines endgültigen, absolut wahren Bildes der Natur; die Hauptaufmerksamkeit galt der Suche nach offensichtlichen, anschaulichen und “aus der Erfahrung hervorgehenden“ ontologischen Prinzipien.
In der zweiten Phase tritt eine Krise dieser Haltungen zutage, und es vollzieht sich der Übergang zu einer neuen Art philosophischer Grundlagen. Dieser Übergang ist durch den Verzicht auf den direkten Ontologismus und das Verständnis der relativen Wahrhaftigkeit des Naturbildes geprägt, das in verschiedenen Phasen der Entwicklung der Naturwissenschaften erarbeitet wurde. Es wird die Wahrheit verschiedener konkreter theoretischer Beschreibungen derselben Realität zugelassen, da jede von ihnen einen Moment objektiv wahrer Erkenntnis enthält. Es werden die Zusammenhänge zwischen den ontologischen Postulaten der Wissenschaft und den Merkmalen der Methode, mit der das Objekt erfasst wird, reflektiert. In diesem Zusammenhang werden solche Erklärungstypen und Beschreibungen akzeptiert, die explizit auf die Mittel und Operationen der Erkenntnistätigkeit hinweisen.
In der dritten Phase, deren Entstehung die Epoche der modernen wissenschaftlich-technischen Revolution umfasst, entstehen offenbar neue Strukturen philosophischer Grundlagen der Naturwissenschaft. Diese zeichnen sich durch die Reflexion über die historische Wandelbarkeit nicht nur der Ontologie, sondern auch der Ideale und Normen der wissenschaftlichen Erkenntnis aus, indem die Wissenschaft im Kontext der sozialen Bedingungen ihres Bestehens und ihrer sozialen Folgen gesehen wird, sowie durch die Begründung der Zulässigkeit und sogar Notwendigkeit, axiomatische (wertbezogene) Faktoren bei der Erklärung und Beschreibung komplexer systemischer Objekte einzubeziehen (Beispiele hierfür sind die theoretische Beschreibung ökologischer Prozesse, globale Modellierungen, die Diskussion über Gentechnologie usw.).
Der Übergang von einer Struktur philosophischer Grundlagen zu einer anderen bedeutet eine Revision des zuvor etablierten Wissenschaftsbildes. Dieser Übergang stellt immer eine globale wissenschaftliche Revolution dar.
Die philosophischen Grundlagen der Wissenschaft sind nicht mit dem gesamten Bereich des philosophischen Wissens gleichzusetzen. Aus dem weiten Feld philosophischer Fragestellungen und Lösungsmöglichkeiten, die in jeder historischen Epoche in der Kultur entstehen, greift die Wissenschaft nur bestimmte Ideen und Prinzipien als fundierende Strukturen auf. Philosophie ist nicht nur Reflexion über die Wissenschaft, sondern Reflexion über die Grundlagen der gesamten Kultur. Ihre Aufgabe ist es, nicht nur die Wissenschaft, sondern auch andere Aspekte des menschlichen Daseins zu analysieren — etwa die Bedeutung des menschlichen Lebens, die Begründung eines wünschenswerten Lebensstils usw. Indem sie diese Probleme diskutiert und löst, entwickelt die Philosophie auch kategoriale Strukturen, die in der Wissenschaft verwendet werden können.
Auf diese Weise besitzt die Philosophie insgesamt eine bestimmte inhaltliche Überschussdimension im Verhältnis zu den Anforderungen der Wissenschaft jeder historischen Epoche. Bei der Lösung weltanschaulicher Probleme entwickelt die Philosophie nicht nur die allgemeinsten Ideen und Prinzipien, die eine Voraussetzung für die Erfassung von Objekten in einer bestimmten Phase der wissenschaftlichen Entwicklung darstellen, sondern sie bildet auch kategoriale Modelle, deren Bedeutung für die Wissenschaft erst in späteren Phasen der Erkenntnisevolution offenbar wird. In diesem Sinne kann man von bestimmten prognostischen Funktionen der Philosophie in Bezug auf die Naturwissenschaften sprechen. So wurden beispielsweise die Ideen des Atomismus, die ursprünglich schon in der antiken Philosophie formuliert wurden, erst im 17. bis 18. Jahrhundert zu einem naturwissenschaftlichen Fakt. Die in der Philosophie von Leibniz entwickelte kategoriale Apparatur war für die mechanistische Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts überschüssig und kann retrospektiv als eine Vorwegnahme einiger grundlegender Merkmale selbstregulierender Systeme gewertet werden. In der kategorialen Apparatur Hegels spiegelten sich viele der allgemeinsten Wesensmerkmale komplexer, sich selbst entwickelnder Systeme. Das theoretische Studium von Objekten dieses Typs in der Naturwissenschaft begann erst Mitte des 19. Jahrhunderts (wenn sie auch von außen durch die sich entwickelnde Geologie, Paläontologie und Embryologie beschrieben wurden, so kann vielleicht die erste theoretische Untersuchung, die auf die Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten historisch sich entwickelnder Objekte abzielte, als Darwins Theorie der Artenentstehung angesehen werden).
Die Quelle der prognostischen Funktionen der Philosophie liegt in den grundlegenden Merkmalen der philosophischen Erkenntnis, die auf eine ständige Reflexion über die weltanschaulichen Grundlagen der Kultur ausgerichtet ist. Hier lassen sich zwei wesentliche Aspekte identifizieren, die die philosophische Erkenntnis wesentlich kennzeichnen. Der erste ist mit der Generalisierung des extrem breiten Materials der historischen Entwicklung der Kultur verbunden, das nicht nur die Wissenschaft, sondern auch alle Phänomene der Kreativität umfasst. Die Philosophie stößt häufig auf Fragmente und Aspekte der Wirklichkeit, die in ihrer systemischen Komplexität die Objekte übertreffen, die von der Wissenschaft erfasst werden. So wurden beispielsweise menschbezogene Objekte, deren Funktionsweise die Einbeziehung des menschlichen Faktors voraussetzt, erst in der Ära der modernen wissenschaftlich-technischen Revolution zum Gegenstand der naturwissenschaftlichen Untersuchung, mit der Entwicklung von Systementwurf, dem Einsatz von Computern und der Analyse globaler ökologischer Prozesse. Der philosophische Analyse wiederum begegnet häufig mit Systemen, die den “menschlichen Faktor“ als Bestandteil beinhalten, wie etwa bei der Reflexion über verschiedene Phänomene der geistigen Kultur. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der kategoriale Apparat, der für das Verständnis solcher Systeme sorgt, in der Philosophie im Allgemeinen viel früher entwickelt wurde, als er in der Naturwissenschaft Anwendung fand.
Zweiter Aspekt der philosophischen Schöpfung, der mit der Generalisierung des Inhalts verbunden ist, der potenziell über die philosophischen Ideen und kategorialen Strukturen hinausgeht, die für die Wissenschaft einer bestimmten historischen Epoche erforderlich sind, wird durch die internen theoretischen Aufgaben der Philosophie selbst bestimmt. Indem die Philosophie die grundlegenden weltanschaulichen Bedeutungen aufdeckt, die der Kultur der jeweiligen Epoche eigen sind, arbeitet sie dann mit diesen als besonderen idealen Objekten. Sie untersucht ihre inneren Beziehungen und verbindet sie zu einem ganzheitlichen System, in dem jede Veränderung eines Elements direkte oder indirekte Auswirkungen auf die anderen hat. Als Ergebnis solcher internen theoretischen Operationen können neue kategoriale Bedeutungen entstehen, von denen einige selbst für die Praxis der entsprechenden Epoche schwer zu fassen sind. Indem die Philosophie diese Bedeutungen entwickelt, bereitet sie sozusagen kategoriale Matrizen für zukünftige weltanschauliche Strukturen, für zukünftige Arten des Verständnisses, des Reflektierens und des Erlebens der Welt vor.
Indem sie an zwei miteinander verbundenen Polen arbeitet — dem rationalen Verständnis der bestehenden weltanschaulichen Strukturen der Kultur und der Projektion möglicher neuer Wege des Verständnisses der Welt durch den Menschen (neuer weltanschaulicher Orientierungen) — erfüllt die Philosophie ihre Hauptfunktion in der Dynamik der soziokulturellen Entwicklung. Sie erklärt und begründet nicht nur die bestehenden Weltanschauungen und Weltdeutungen, die sich bereits in der Kultur herausgebildet haben, sondern sie bereitet auch “Projekte“ vor, höchst verallgemeinerte theoretische Schemata potenziell möglicher weltanschaulicher Strukturen und damit auch möglicher Grundlagen der Kultur der Zukunft. In diesem Prozess entstehen genau jene kategorialen Schemata, die für die Wissenschaft der jeweiligen historischen Epoche als überschüssig erscheinen, aber in der Zukunft das Verständnis neuer, komplexerer Objekte im Vergleich zu bereits erforschten Objekten ermöglichen können.
Der Übergang von einem Typ philosophischer Grundlagen der Wissenschaft zu einem anderen ist stets nicht nur durch die internen Bedürfnisse der Wissenschaft bestimmt, sondern auch durch das soziokulturelle Umfeld, in dem Philosophie und Wissenschaft sich entwickeln und miteinander interagieren.
Die doppelte Funktion der philosophischen Grundlagen der Wissenschaft — sowohl eine heuristische Funktion für die wissenschaftliche Suche als auch ein Mittel zur Anpassung wissenschaftlichen Wissens an die in der Kultur vorherrschenden weltanschaulichen Einstellungen — stellt sie in direkte Abhängigkeit von der allgemeineren Situation der Philosophie in der Kultur einer bestimmten historischen Epoche.
Die Realisierung der prognostischen Funktionen der Philosophie ist eine der wesentlichen Bedingungen für die Umgestaltung der philosophischen Grundlagen der Wissenschaft. Da die philosophische Prognostik direkt die tiefen Grundlagen der Kultur betrifft, setzen jede historische Epoche und jede historisch entstandene Gesellschaft ihre eigenen Grenzen für die philosophische Kreativität und die Schaffung neuer kategorialer Bedeutungen innerhalb der Philosophie.
Für die Wissenschaft ist es jedoch nicht nur wichtig, dass im Bereich des philosophischen Wissens der jeweiligen Epoche das erforderliche Spektrum an Ideen und Prinzipien existiert, sondern auch, dass durch selektive Übernahme entsprechender kategorialer Schemata, Ideen und Prinzipien diese in ihre eigenen philosophischen Grundlagen verwandelt werden können.
Das komplexe Wechselspiel zwischen der historischen Entwicklung der Philosophie und den philosophischen Grundlagen der Wissenschaft muss auch bei der Analyse der gegenwärtigen Prozesse der Umgestaltung dieser Grundlagen berücksichtigt werden.
Der Übergang von der klassischen zur nichtklassischen Wissenschaft, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Revolution der Naturwissenschaften begann, erweiterte den Kreis der Ideen, die Teil der philosophischen Basis der Naturwissenschaften werden konnten. Neben den ontologischen Aspekten ihrer Kategorien spielten die epistemologischen Aspekte eine Schlüsselrolle, die es ermöglichten, Probleme der relativen Wahrheit wissenschaftlicher Weltbilder und der Kontinuität beim Wechsel von wissenschaftlichen Theorien zu lösen. In der modernen Ära, in der die wissenschaftlich-technische Revolution das Gesicht der Wissenschaft radikal verändert, werden auch die Aspekte der Philosophie in die philosophischen Grundlagen der Wissenschaft einbezogen, die wissenschaftliches Wissen als sozial determiniertes Handeln betrachten. Natürlich erschöpfen die heuristischen und prognostischen Potenziale nicht die Problematik der praktischen Anwendung philosophischer Ideen in der Wissenschaft. Diese Anwendung erfordert eine besondere Art von Forschung, in deren Rahmen die von der Philosophie entwickelten kategorialen Strukturen auf die Probleme der Wissenschaft angepasst werden. Dieser Prozess ist mit der Konkretisierung der Kategorien verbunden, mit ihrer Transformation in Ideen und Prinzipien wissenschaftlicher Weltbilder und in methodologische Prinzipien, die die Ideale und Normen der jeweiligen Wissenschaft ausdrücken. Diese Art von Forschung bildet das Wesen der philosophisch-methodologischen Analyse der Wissenschaft. Hier erfolgt gewissermaßen die Auswahl aus den kategorialen Strukturen, die bei der Entwicklung und Lösung weltanschaulicher Probleme gewonnen wurden, jener Ideen, Prinzipien und Kategorien, die die philosophischen Grundlagen der jeweiligen konkreten Wissenschaft (Fundamente der Physik, Biologie usw.) werden. Infolgedessen erhält der Inhalt philosophischer Kategorien bei der Lösung grundlegender wissenschaftlicher Probleme häufig neue Nuancen, die dann durch philosophische Reflexion erkannt werden und die Grundlage für eine neue Bereicherung des kategorialen Apparats der Philosophie bilden. Eine Verzerrung dieser Prinzipien wäre sowohl für die Wissenschaft als auch für die Philosophie mit großen Kosten verbunden.