Dialektik des Sozialen und Biologischen in der Natur des Menschen - Philosophische Probleme der Naturwissenschaften
Geschichte und Philosophie der Wissenschaft - 2024 Inhalt

Philosophische Probleme der Naturwissenschaften

Dialektik des Sozialen und Biologischen in der Natur des Menschen

Die Frage, was der Mensch sei, ist wahrhaft zeitlos und bewegt die Gemüter der Menschen seit jeher. Dabei ist es gleichgültig, in welcher Form sie zum Ausdruck kommt: sei es in Radiščevs Überlegungen “Über den Menschen, seine Sterblichkeit und Unsterblichkeit“, in Puschkins Worten “Nein, ich sterbe nicht ganz — in der geweihten Lyra überlebt meine Seele meinen Staub und entflieht dem Verfall“, oder schließlich in Bertrand Russells Gegenüberstellung möglicher Urteile:
“Ist der Mensch das, was er dem Astronomen erscheint — ein winziger Klumpen aus Kohlenstoff und Wasser, der hilflos auf einem kleinen, nebensächlichen Planeten umherkriecht? Oder ist er das, was er Hamlet erschien? Oder ist er vielleicht beides zugleich?“

In all diesen Betrachtungen kristallisiert sich das Verhältnis zwischen dem Natürlichen (Biologischen) und dem Sozialen, zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen als Kern der Problematik heraus.

Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts formulierte der bekannte russische Dichter G. R. Deržavin in seiner Ode “Gott“ die Frage nach dem Wesen des Menschen in bildhafter Sprache:
“Ein Teil des Weltalls bin ich, ein Teil der ganzen Schöpfung,
gestellt, so scheint es mir, in ehrfurchtgebietender Mitte der Natur,
wo du das Leibliche beendet und das Geistige begonnen hast
und mich als Bindeglied der gesamten Existenz geschaffen hast.
Ich bin das Band der Welten, die überall sind,
die äußerste Stufe der Materie;
das Zentrum des Lebens,
die Grenze zum Göttlichen.
Im Staube vergehe ich als Körper,
doch mit dem Geist gebiete ich den Blitzen,
ich bin König — ich bin Sklave — ich bin Wurm — ich bin Gott!
Doch, so wunderbar ich auch bin,
woher komme ich? Das ist unbekannt,
und von selbst konnte ich nicht sein.“

Was früher in erhabenen Reflexionen über die Bestimmung und das Schicksal der menschlichen Persönlichkeit Ausdruck fand, wird in unserer rationalen Epoche der wissenschaftlich-technischen Revolution und der Umwandlung der Wissenschaft in eine unmittelbare Produktivkraft zu neuen Fragen: “Kann eine Maschine denken?“, “Kann sie ihren Schöpfer übertreffen?“, “Ist der Mensch nicht vielleicht selbst eine komplexe, auf natürliche Weise entstandene kybernetische Maschine, in der die Möglichkeit der Kodierung und Speicherung von Informationen auf molekularer Ebene verwirklicht wurde?“

In all diesen Überlegungen treten zwei methodologische Haupttendenzen zur Erklärung der menschlichen Natur deutlich hervor: die reduktionistische Tendenz, die die Natur des Menschen entweder auf seine biologische oder auf seine soziale Seite reduziert, und die holistische, systemische Tendenz, die den Menschen als eine Einheit aus Sozialem und Biologischem begreift, wobei das Soziale seine tiefste innere Essenz darstellt. Mit anderen Worten: Das Soziale im Menschen ist nicht lediglich übernatürlich oder überbiologisch, wie einige Forscher behaupten, sondern es ist in das Biologische “eingetaucht“, durchdringt es und transformiert es aktiv — sowohl im Ontogeneseprozess des Individuums als auch im Phylogeneseprozess der Art Homo sapiens.

Diese Sichtweise findet Ausdruck in der Vorstellung, dass die Entstehung des Menschen und die Herausbildung der Gesellschaft keine zwei parallelen Prozesse sind, sondern einen einzigen, innerlich widersprüchlichen Prozess des Anthropo-Soziogenese darstellen, dessen Seiten — Anthropo- und Soziogenese — relativ eigenständig, jedoch nicht unabhängig voneinander sind.

Indem sich der Mensch aus der Natur heraushebt, hört er auf, ein rein biologisches Wesen zu sein, und wird ein soziales Wesen, das sich in gewissem Sinne von der Natur loslöst und ihr entgegentritt. Dies zeigt sich unter anderem in der Beendigung der kontinuierlichen biologischen Entwicklung der menschlichen Spezies. Soziale Faktoren neutralisieren die bestimmende Wirkung der treibenden Form der natürlichen Selektion, ohne jedoch die Anhäufung von erblichen Anpassungen und anderen Veränderungen auszuschließen, die zur Stabilisierung der Artbasis von Homo sapiens führen.

Dennoch wäre es falsch und metaphysisch, das Herausheben des Menschen aus der Natur als vollständigen Bruch mit der natürlichen Grundlage, die seine Entstehung vorbereitete, und als deren Aufhebung zu betrachten. Im Gegenteil, wie zahlreiche Wissenschaftler zutreffend bemerken, wird das Natürliche im Menschen nicht ausgelöscht, sondern erfährt eine tiefgreifende Umgestaltung, die es organisch mit dem Sozialen verbindet.

In der umfangreichen in- und ausländischen Literatur, die sich mit dem Verhältnis von Biologischem und Sozialem befasst, wird dieses Verhältnis vor allem auf der Ebene des individuellen Menschen betrachtet, und zwar des modernen Menschen. Anders ausgedrückt, das Problem wird überwiegend in einer strukturell-funktionalen Perspektive behandelt, ohne Berücksichtigung des Historismus und der Veränderungen dieses Verhältnisses im Verlauf der Phylogenese und der historischen Entwicklung des Menschen.

Eine solche Fragestellung erscheint uns in vielerlei Hinsicht unzureichend. Die Begriffe des Biologischen und des Sozialen werden in diesem Fall nur im gegenwärtigen (synchronen) Aspekt betrachtet, wodurch deren Geschichtlichkeit und die Veränderung ihres Inhalts in verschiedenen Phasen der menschlichen Entwicklung aus dem Blickfeld geraten. Damit bleiben auch die Veränderungen ihrer Wechselbeziehung im historischen Werdegang des Menschen unberücksichtigt.

Ein weiterer Mangel eines solchen Ansatzes liegt darin, dass das Soziale lediglich als etwas Äußeres gegenüber dem Individuum verstanden wird, als etwas, das nicht die Existenz eines Einzelnen, sondern nur die großer Menschengruppen kennzeichnet. Solche Auffassungen benötigen jedoch eine Präzisierung. Das Soziale entsteht aus dem Biologischen, das Biologische geht dem Sozialen voraus und schafft dessen historische natürliche Voraussetzungen.

So kann man sagen, dass das Soziale im Verlauf seiner Entwicklung über das Biologische hinausgeht und überbiologisch wird. Doch diese Aussage ist relativ zu verstehen: Der Mensch wird zwar ein soziales Wesen, bleibt aber zugleich ein biologisches. Sein Heraustreten aus der Natur ist nicht absolut, sondern relativ.

Im Gegensatz zu mechanistischen Auffassungen, denen zufolge das Soziale auf einer natürlichen Grundlage entsteht, jedoch von dieser getrennt bleibt, lehrt die dialektische Betrachtung, dass das Soziale, indem es aus bestimmten natürlichen Voraussetzungen erwächst, diese zugleich zu verändern und zu modifizieren vermag. Es unterwirft die Natur, jedoch nicht als eine absolut fremde und feindliche Macht, sondern als eine Kraft, die in relativer Harmonie mit dem Natürlichen im Menschen steht. Daher gestalten die Menschen durch ihre Produktionstätigkeit und ihr gesellschaftliches Leben nicht nur ihre Umgebung um, sondern verändern auch sich selbst. So erschaffen sie eine zweite, humanisierte Natur. Das Verhältnis zwischen Sozialem und Natürlichem wird dabei primär durch das Soziale bestimmt. Im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft verbessert sich dieses Verhältnis grundsätzlich, auch wenn gelegentliche Widersprüche und Konflikte zwischen dem Sozialen und dem Natürlichen im Menschen nicht ausgeschlossen sind. Es wäre falsch, die Möglichkeit solcher Konflikte zu leugnen, aber ebenso irrig, sie als unvermeidlich und grundlegend für das Verhältnis von Sozialem und Natürlichem anzusehen.

Im Prozess der Menschwerdung erfolgt eine Art “Anpassung“ des Natürlichen, des Biologischen, an die Anforderungen des Sozialen. Es entsteht eine einheitliche, soziobiologisch organisierte Natur des Menschen, die sich nicht nur durch eine spezifische Morphologie und Physiologie, sondern auch durch einen besonderen Ontogeneseprozess auszeichnet — einen Prozess, der sich qualitativ von dem anderer Organismen unterscheidet. Dieser Ontogeneseprozess umfasst sozial-biologische Entwicklungsphasen sowohl im aufsteigenden als auch im absteigenden Zweig der Entwicklung.

Mit der Entstehung der Gattung Homo sapiens nahm die relative Bedeutung sozialer Faktoren in der Evolution kontinuierlich zu, während die Rolle biologischer Faktoren allmählich abnahm. Im Lauf der Geschichte lernt der Mensch, die Naturgesetze zu erkennen und für sich nutzbar zu machen, ohne sich jedoch je vollständig von der Abhängigkeit von der Natur zu befreien. Die Dialektik des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Natur zeigt, dass die Menschheit, je mehr sie die Kräfte der Natur beherrscht, umso deutlicher ihr Einssein mit ihr und ihre Abhängigkeit von ihr erkennt und praktisch erlebt.

Mit dem Anwachsen der Rolle sozialer Faktoren in der Entwicklung der Vorfahren des Menschen und der frühen Menschen formten sich nicht nur der Mensch, sondern auch die Gesellschaft und das soziale Leben in ihrer entwickelten Form. Eine wesentliche Voraussetzung und Bedingung der Menschwerdung war die “Reflexion“ des Sozialen im Biologischen und gleichzeitig die Transformation des Biologischen zu einer spezifischen Biologie des Menschen, die untrennbar mit dem Sozialen verbunden ist. Diese “Reflexion“ vollzog sich freilich nicht durch unmittelbare Anpassung, sondern auf der Grundlage einer besonderen bio-sozialen Selektion. Durch diese bio-soziale Selektion veränderte sich die Natur der sich formierenden Menschen in Richtung einer Anpassung ihres Organismus und Verhaltens an die neuen Bedingungen, die durch die sozialen Faktoren entstanden waren.

Der Begriff des Sozialen wird daher in zwei Bedeutungen verwendet: in einem engeren Sinn zur Bezeichnung der Gesamtheit der Verbindungen und Beziehungen innerhalb der Gesellschaft und in einem weiteren Sinn zur Charakterisierung aller Phänomene, Eigenschaften und Beziehungen, die der gesellschaftlichen Bewegungsform eigen sind, einschließlich sozialer Aspekte der Organisation einzelner Individuen.

Die Beziehung zwischen Sozialem und Biologischem im Menschen erfordert die Einsicht, dass diese keine “Teile“ der menschlichen Natur sind; vielmehr bildet die menschliche Natur ein komplexes Gefüge, eine organische Einheit, eine neue systemische Qualität. In dieser Einheit ist das Biologische sozial (menschlich), während das Soziale auf einer natürlichen, insbesondere biologischen Grundlage ruht.

Wenn wir anerkennen, dass die menschliche Natur aus biogenen, psychogenen und soziogenen Komponenten besteht, muss eine weitergehende Analyse deren Interaktion in jenem qualitativ besonderen systemischen Ganzen (der menschlichen Natur) offenlegen. Dies ist umso wichtiger, als biologisches und soziales Zusammenwirken nicht nur die menschliche Natur prägen, sondern auch bei der Kultivierung von Pflanzen und Tieren, der Schaffung künstlicher Biotope, Kulturgärten, Weiden, Forstplantagen und Tierreservaten eine Rolle spielen.

Die Mehrdeutigkeit des Begriffs “sozial“ ist innerlich mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs “natürlich“ verbunden. Begriffe wie Natur und Natürliches werden sowohl in einem weiten als auch in einem engen Sinne verwendet. Im weiten Sinne bezeichnet Natur die Gesamtheit der objektiven Welt, ähnlich den Begriffen Materie, Universum oder Kosmos. In diesem Sinne können Gesellschaft und Mensch als Teile der Natur betrachtet werden, als qualitativ besondere Hervorbringungen derselben. Im engeren Sinne versteht man unter Natur entweder den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft oder die Gesamtheit der natürlichen und künstlichen Bedingungen der menschlichen Existenz. In diesem Kontext tritt der Gegensatz zwischen Natürlichem und Sozialem in den Vordergrund. Doch dieser Gegensatz ist relativ, nicht absolut: Natürliche (einschließlich biologische) und soziale Elemente sind in ihrer materiellen Grundlage vereint, unterscheiden sich jedoch in ihrer inneren Organisation.

Das Soziale ist materiell und somit in gewisser Weise natürlich, doch es enthält auch ideelle Komponenten, da es Bewusstsein besitzt und sich dadurch vom Natürlichen abhebt. In seinem Handeln und Denken tritt der Mensch der Natur gegenüber, doch diese Opposition ist relativ und geschichtlich bedingt. Das Soziale lässt sich nicht auf das Natürliche reduzieren, sondern erwächst aus dessen Entwicklung und bleibt mit ihm untrennbar verbunden.

Eine charakteristische Entwicklung der modernen Wissenschaft ist die zunehmende Überwindung scharfer Grenzen zwischen Biologie und anderen Wissenschaftsbereichen. Die Idee der Einheit von unbelebter und belebter Natur sowie von Natur und Gesellschaft ersetzt die Vorstellung voneinander isolierter Wirklichkeitsbereiche. Die Entwicklung der Biologie liefert immer neue Belege für die materielle Einheit der Welt.

Die moderne Biologie hat in der lebenden Natur ein komplexes hierarchisches System unterschiedlicher Formen und Ebenen der Organisation des Lebens entdeckt. Das Funktionieren und die Entwicklung jeder dieser Ebenen werden nicht nur durch allgemeine biologische, sondern auch durch spezifische Gesetzmäßigkeiten bestimmt.

Das Entstehen des Sozialen bedeutet keinen vollständigen Bruch mit dem Biologischen, keine Zerstörung desselben; vielmehr setzt es eine Grenze für das eigenständige Wirken biologischer Faktoren, bewahrt sie jedoch in untergeordneter Funktion innerhalb seiner Struktur. Mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft nimmt der Einfluss des Sozialen auf die Natur stetig zu.

In unserer Zeit wächst die Bedeutung des Bewusstseins und der Planung in der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Natur, was die Notwendigkeit einer tiefergehenden Erschließung der Dialektik von Biologischem und Sozialem mit sich bringt.

Die Betrachtung der Biologie des Menschen wäre unvollständig, ohne auf seine ökologische Dimension einzugehen. In diesem Zusammenhang sei an einen Gedanken von W. I. Wernadski erinnert:
“Im gesellschaftlichen Leben spricht man gewöhnlich vom Menschen als einem frei lebenden und sich auf unserem Planeten bewegenden Individuum, das seine Geschichte eigenständig gestaltet. Bislang haben Historiker, Wissenschaftler der Geisteswissenschaften und, in gewissem Maße, auch Biologen bewusst die Gesetze der Natur der Biosphäre ignoriert — jener Erdhülle, in der allein Leben existieren kann. Der Mensch ist von ihr nicht spontan zu trennen. Und diese Untrennbarkeit beginnt sich erst jetzt in aller Deutlichkeit vor uns abzuzeichnen.“