Die Philosophie Edmund Husserls und die phänomenologische Philosophie

Einführung in Die Moderne Philosophie - 2024



Die Philosophie Edmund Husserls und die phänomenologische Philosophie

Der Gegenstand der Phänomenologie

Die Phänomenologie ist eine Philosophie des Bewusstseins. Erst kürzlich wurde das zwanzigste Jubiläum der ersten internationalen Konferenz der Phänomenologen begangen. Die Anfänge dieser philosophischen Strömung sind eng mit dem Namen Edmund Husserls verbunden — Mathematiker, Logiker und Philosoph — und haben ihre Wurzeln im Psychologischen Münchener Kreis, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts aktiv war. Nach dem Vorbild dieses Kreises entstand ein philosophischer Club in Göttingen. In den Jahren 1910—1912 legte Husserl den Grundstein für die Geschichte der Phänomenologie. Seit 1939 wird in Belgien, wo Husserls Hauptmanuskripte hinterlegt und ein Husserl-Archiv eingerichtet wurden, die Husserliana, eine kommentierte Gesamtausgabe seiner Werke, veröffentlicht.

Es sei vorweg darauf hingewiesen, dass der Gegenstandsbereich der Phänomenologie eine neue Dimension eröffnet, die keinen widerspruchsfrei ausgearbeiteten begrifflichen Apparat innerhalb der Philosophie besitzt. Gerade hierin liegt die Schwierigkeit, die von Husserl aufgeworfenen Probleme und die Lösungsansätze seiner Nachfolger zu verstehen. Doch letztlich geht es um unser eigenes Bewusstsein: Wissen wir, was unser Bewusstsein ist? Sind wir in der Lage, einen anderen Menschen mit einem vergleichbaren — oder möglicherweise abweichenden — Bewusstsein zu verstehen? Und wenn wir den anderen nicht verstehen, was genau bleibt uns unzugänglich? Was vermag unser Bewusstsein nicht zu erfassen, und beherrschen wir überhaupt den bewussten Umgang damit?

Der phänomenologische Ansatz “setzt voraus, dass jegliche Annahmen, Feststellungen und Überzeugungen hinsichtlich der Objektivität des Gegenstandes vollständig ausgeschlossen werden.“ Die phänomenologischen Daten, so Husserl, sind Erkenntnisse über die Zeit, weshalb “durch phänomenologische Analyse nicht einmal das Geringste über die objektive Zeit festgestellt werden kann.“ Das “erlebte Jetzt“ als solches ist keine Punktualität der objektiven Zeit. Ebenso wenig lassen sich objektiver Raum, objektive Zeit und mit ihnen die objektive Welt wirklicher Dinge und Prozesse unmittelbar erfassen, denn all dies ist transzendent.

Die Ordnung der Dinge und die Verknüpfungen zwischen ihnen, die der Mensch in seinen eigenen Erlebnissen entdeckt, entsprechen nicht der objektiven Weltordnung. Das Bewusstsein, das einen Gegenstand ergreift und festhält, so Husserl, erfasst damit nicht dessen Objektivität und erkennt nicht unmittelbar die objektive Realität. Die Objektivität gehört zum “Erlebnis“ und insbesondere zur Einheit der Erfahrung, zu den Gesetzmäßigkeiten der in der Erfahrung gegebenen Naturzusammenhänge. Phänomenologisch betrachtet: Objektivität wird nicht in den “primären“ Inhalten konstituiert, sondern in den Eigenschaften des Ergreifens und in den Gesetzmäßigkeiten, die diesen Eigenschaften wesenseigen sind.

Husserls erste genuin phänomenologische Arbeit, das zweibändige Werk Logische Untersuchungen, entstand 1900—1901. In diesem Werk kommt Husserl zu dem Schluss, dass seine Bemühungen, die letzten, insbesondere psychologischen Grundlagen der Wissenschaft (z. B. der Arithmetik), aufzuspüren, gescheitert sind. Dies führt ihn zu einer scharfen Kritik des Psychologismus in der Logik. Er bezeichnet seine frühen “psychologischen“ Versuche als “kindliche Naivität“, die durch das Fehlen philosophischen Wissens geprägt waren. Bereits hier zeichnet sich auf der Grundlage der Arithmetik, insbesondere des Zahlenbegriffs, eine Differenzierung in drei Aspekte ab: 1) die “Zahl an sich“ oder das Zeichen, 2) der Begriff der “Zahl“ oder der Gedanke an den Gegenstand (der gegenständliche Gehalt des Denkens), und 3) das Bewusstsein dieses Begriffs oder dessen Bedeutung (der Sinn).

Wenn Immanuel Kant am Ende des 18. Jahrhunderts die “Ding-an-sich“ als besonderen Gegenstand des Seins und Bewusstseins herausstellte, so wurde die Notwendigkeit, a) den Gehalt eines Begriffs (den gegenständlichen Gehalt des Denkens) und b) das Bewusstsein dieses Gehalts (die Bedeutung = der Sinn) zu unterscheiden, von Husserl in aller Klarheit erkannt.

Das Konzept der "Noema" und die Lehre von der phänomenologischen Reduktion

In seinem ersten Werk Philosophie der Arithmetik untersucht Husserl den Prozess der Begriffsbildung des “Zahlbegriffs“, das heißt, wie sich der Begriff “Zahl“ herausbildet. In den Logischen Untersuchungen hingegen analysiert er den Inhalt des Begriffs “Zahl“ und postuliert, dass der Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis nicht das Ding an sich, sondern das Begriffliche am Ding an sich ist, also die Einheit von Bedeutung und Sinn. Mit anderen Worten, die Wissenschaft interessiert sich nicht für den Gegenstand der objektiven Realität selbst, sondern für den Begriff dieses Gegenstands — für das, was im Vorstellungsvermögen des Subjekts als Inhalt dieses Begriffs erscheint. Bereits hier formuliert Husserl das grundlegende Prinzip, jegliche impliziten Voraussetzungen, insbesondere metaphysischer Natur, aus der wissenschaftlichen Untersuchung zu entfernen.

Um unbezweifelbare Grundlagen des Wissens zu erreichen, strebt Husserl eine Neutralisierung des wissenschaftlichen Gegenstandes an, das heißt eine phänomenologische Reinigung — dies ist das Prinzip der phänomenologischen Einstellung oder Reduktion. Dabei ist der Einfluss von Descartes und dem älteren Zeitgenossen Richard Avenarius auf Husserl deutlich erkennbar.

Wie lässt sich das Dasein eines Gegenstands in der Gedankenwelt von seinen Erscheinungsformen und zahlreichen Funktionen phänomenologisch reinigen? Wie kann der Gegenstand des Denkens allein als Gegenstand verbleiben, ohne zusätzliche funktionale, pragmatische oder wertende Eigenschaften, das heißt ohne anthropomorphe oder subjektive Inhalte?

Um die phänomenologische Reduktion zu verstehen, müssen einige der logischen Begriffe betrachtet werden, mit denen Husserl operiert, insbesondere “Bedeutung“ und “Zeichen“. Heutzutage kann man sagen, dass Husserl das Konzept der “Bedeutung“ mit dem des “Sinns“ gleichsetzt. Die Unterscheidung zwischen logischer Bedeutung und logischem Sinn wurde jedoch erst später von Gottlob Frege vorgenommen, inspiriert durch Husserls Logische Untersuchungen. Frege verfolgte Husserls Veröffentlichungen aufmerksam.

Die “Bedeutung eines Gegenstands“ im Sinne Husserls, also dessen “Sinn“, ist die Noema (vom Griechischen noema — “Gedanke“), das heißt der gedankliche Gehalt des Gegenstands, oder anders ausgedrückt, der gegenständliche Inhalt des Denkens.

Ein und derselbe Gegenstand, zum Beispiel ein “Pferd“, kann in verschiedenen Aussagen unterschiedliche, sogar gegensätzliche Sinne (Bedeutungen) haben:

Das Pferd ist Pegasus, ein geflügeltes Ross, das zusammen mit seinem Bruder Chrysaor aus dem Rumpf der Medusa Gorgo entsprang, nachdem Perseus ihr den Kopf abgeschlagen hatte.

Das Pferd ist ein alter Gaul, eine ausgemusterte Mähre, wie in dem Lied besungen: “Jetzt trotten wir still auf dem Asphalt... du und ich mit gesenktem Kopf.“

Unterschiedliche Sinne können nicht nur bei allgemeinen Begriffen wie “Pferd“ auftreten, sondern auch bei individuellen Begriffen wie “Pegasus“. So lässt sich beispielsweise sagen:

Pegasus ist das Ross der Dichter, da er mit einem Hufschlag eine Quelle am Helikon, dem Wohnsitz der Musen, entspringen ließ.

Pegasus ist das Pferd, das Zeus auf den Olymp Blitz und Donner bringt.

Selbst ein Bekannter, etwa ein gewisser “A“, kann verschiedene Bedeutungen oder Sinninhalte haben:

Im ersten Studienjahr war er ein mittelmäßiger Student.

Im zweiten Studienjahr wurde er ein guter Student.

Ab dem dritten Studienjahr entwickelte er sich zum exzellenten Studenten.

Ein “Zeichen“ ist ein materieller Gegenstand, der die Eigenschaften oder Beziehungen eines anderen, nicht zeichenhaften Gegenstands darstellt. Mit Hilfe eines Zeichens oder eines Zeichensystems kann die Noema (Sinn, Bedeutung) wiedergegeben werden. So sind Q, W, R, F Zeichen des englischen Alphabets, @ ist ein obligatorisches Zeichen im E-Mail-Verkehr, und (c) symbolisiert das Urheberrecht. Darüber hinaus ist das Zeichen eine Daseinsweise der Noema und kann in verschiedenen Formen auftreten: als Zeichen-Bild (Landkarte, Fotografie, Röntgenaufnahme), als Zeichen-Merkmal (Rauch als Zeichen für Feuer, Fieber als Zeichen einer Krankheit) oder als Zeichen-Symbol (die Bergziege als Symbol der Stadt Samara, ein Baum mit üppiger Krone als Symbol einer Universität, die Schale mit der Schlange als Symbol der Medizin).

Der Slogan "Zurück zu den Sachen selbst!"

Die Wissenschaft muss, um ihrem Anspruch gerecht zu werden, ausschließlich “gereinigte“ Begriffe von Gegenständen verwenden. Ein Begriff, der in der wahren Wissenschaft Bestand haben soll, muss die Prüfung der phänomenologischen Reduktion durchlaufen. Diese trennt den Gegenstand von seinen kausalen Verbindungen mit anderen Objekten, von den menschlichen Zielen, in deren Rahmen er eine bestimmte Funktion erfüllt, sowie von jeglichem Bezug zu Resultaten menschlicher Tätigkeit oder zu äußeren Kräften. So entsteht der gereinigte Gegenstand der Wissenschaft: der Gegenstand an sich. Dies bedeutet, einen phänomenologischen Blick auf die Dinge zu gewinnen — das, was Husserl mit “zurück zu den Sachen selbst!“ formulierte. Hier wird seine fundamentale Kritik am philosophischen Naturalismus deutlich.

Jean-Paul Sartre greift in seinen Situations die zentrale Idee Husserls auf und beschreibt den Irrtum sowohl des Idealismus als auch des Naturalismus: Beide glauben, das vom Subjekt gebildete Konzept eines Gegenstands sei identisch mit dem Gegenstand selbst und damit wahr. Der Geist wird dabei metaphorisch als Spinne dargestellt, die die Dinge in ihr Netz einhüllt, sie mit Speichel überzieht und schließlich verschlingt, um sie in ihre eigene Substanz zu verwandeln. Für Sartre besteht diese Illusion darin, den Gegenstand vollständig im Bewusstsein aufzulösen. Doch Husserl betont: Bewusstsein und Gegenstand sind zugleich gegeben, miteinander verbunden, ersetzen einander aber nicht. Die Aneignung eines Gegenstands kann nicht mit seiner Erkenntnis gleichgesetzt werden. Was der Gegenstand durch die Erkenntnis an Subjektivem erhält, muss entfernt werden — das ist der Kern von Husserls Forderung. Das Bewusstsein soll den Gegenstand von all jenen Eigenschaften befreien, die ihm durch das Erkennen zugefügt wurden. Der Slogan “Zurück zu den Sachen selbst!“ impliziert erkenntnistheoretisch den Verzicht auf Urteile über die Eigenschaften der Gegenstände — dies ist der Sinn von Husserls berühmter Epoché.

Das Bewusstsein als Noesis: Sinnbildung

Doch was bedeutet “Zurück zu den Sachen“ konkret? Was geschieht mit einem Gegenstand, wenn er von der Noema, von all seinen wesentlichen und notwendigen Merkmalen, gereinigt wird? Der Begriff eines Gegenstands umfasst eben diese wesentlichen und notwendigen Merkmale, die die Eigenschaften eines Gegenstands darstellen und seine Fähigkeit bezeichnen, mit anderen Objekten in Beziehungen zu treten. Wenn man all das, was im Erkenntnisprozess durch das Subjekt-Objekt-Verhältnis entstanden ist, entfernt, was bleibt dann vom Gegenstand des Denkens?

Der Gegenstand des Denkens, der zugleich der Gegenstand selbst ist, wird zur “absoluten Subjektivität“, wie Husserl es ausdrückt, oder, um Sartres Bild aufzugreifen, zum “Geist“. Doch dieser Geist ist nicht länger die verschlingende Spinne, sondern eine, die ihre Netzfäden aus sich selbst heraus webt. Der Gegenstand des Denkens wird zur reinen Noesis — zum Akt des Denkens selbst.

Das Erscheinen eines Gegenstands ist nicht identisch mit dem Gegenstand, der erscheint. Die Phänomene selbst erscheinen nicht, sondern werden erlebt. Was bedeutet also “absolute Subjektivität“? Es ist das Bewusstsein, das sich auf den Gegenstand richtet — ein Strom des Bewusstseins. Die grundlegende Eigenschaft des Bewusstseins ist daher seine Gegenständlichkeit, die sich durch Intentionalität auszeichnet. Das Bewusstsein überschreitet sich fortwährend selbst in seiner Hinwendung zum Gegenstand. Diese Intentionalität ist keine statische Gegebenheit, sondern eine Funktion, die sich nicht als Substanz beschreiben lässt. Das Bewusstsein formt den Sinn des Gegenstands.

Innerhalb der Intentionalität, also in der sinnstiftenden Ausrichtung des Bewusstseins auf den Gegenstand, tritt der Phänomenbereich des Bewusstseins erstmals hervor. Hier erscheint der existierende Gegenstand. Für das phänomenologisch gereinigte Bewusstsein ist der Gegenstand ein existierender Gegenstand, nicht ein funktionaler. Es ist der Gegenstand, dem das Bewusstsein Sinn verleiht. An diesem Punkt übernimmt Husserl das Sprachrohr der Mathematik, um den Existenzstatus mathematischer Objekte zu ergründen. Um das reine Sein eines Gegenstands zu erfassen, analysiert er das Konzept der “Null“.

Wenn es einen Begriff gibt, muss auch ein Gegenstand existieren, der durch diesen Begriff bezeichnet wird. Wenn es den Begriff “Pferd“ gibt, so müssen reale Pferde auf der Weide oder im Stall existieren. Wenn es den Begriff “Student“ gibt, so müssen reale Studenten existieren — in Vorlesungen, Bibliotheken oder zu Hause unter der Decke.

Doch was ist die Null in der Mathematik? Sie ist das Nichts. Wenn es den Begriff “Null“ gibt, ist ihr Gegenstand die Abwesenheit von Gegenständen — die Nichtexistenz. Das Konzept der Null spiegelt also die Merkmale des Nichtseins wider. Doch das Bewusstsein erfasst etwas, wenn es mit dem Begriff “Null“ operiert. Welchen Gegenstand erfasst es, wenn kein Gegenstand existiert?

Husserl argumentiert, dass hier das reine Bewusstsein des Gegenstands entsteht, gerade weil kein Gegenstand vorhanden ist. Es ist das Bewusstsein als Sinnbildung, das sich manifestiert.

Phänomen und Erscheinung des Bewusstseins

Husserl unterscheidet das Phänomen des Bewusstseins — das reine Bewusstsein — von der Erscheinung des Bewusstseins. Entsprechend lässt sich beispielsweise das Phänomen des Guten (das Gute an sich) von der Erscheinung des Guten (seine Manifestation in Taten) oder das Phänomen der Schönheit (die Schönheit an sich) von ihrer Erscheinung (in Kunst oder menschlichem Handeln) unterscheiden.

Die phänomenologische Reduktion hat zwei Aspekte des Bewusstseins sichtbar gemacht: das Bewusstsein als Noema (den gedanklichen Gehalt eines Gegenstands) und das Bewusstsein als Noesis (die Sinnbildung des Gegenstands). Bei Husserl verwandelt sich der Gegenstand von einem noematischen zu einem noetischen — von einem Objekt mit Eigenschaften zu einem Prozess der Sinnstiftung. Diese Verschiebung hin zur Sinnverbindung zwischen Subjekt und Gegenstand ist das Ergebnis von Husserls jahrelangem Nachdenken. Darin liegt der Kern der Phänomenologie, die Erscheinung (Noema) und Phänomen (Noesis) des Bewusstseins unterscheidet.

Phänomenologische Reduktion des Sinnformierens: Bewusstsein als Erlebnis

Das Streben des Bewusstseins nach Sinnbildung ist in seinem Wesen intentional: Bewusstsein ist stets auf ein Objekt gerichtet, jedoch nicht das Objekt selbst. Der nächste Schritt ist die Analyse, also die phänomenologische Reduktion des reinen Bewusstseins als Sinnformierungsakt.

Im ersten Band der Logischen Untersuchungen untersucht Husserl das traditionelle Verständnis des Bewusstseins — das, was er als “Erscheinungen des Bewusstseins“ bezeichnet — und zeigt das reine Bewusstsein als Sinnbildung auf. Im zweiten Band wendet er sich der Untersuchung dieses reinen Bewusstseins zu und offenbart den phänomenologischen Aspekt der Sinnbildung, aus dem das phänomenologische “Ich“ hervorgeht.

Husserls Gedankengang bewegt sich dabei entlang eines von Immanuel Kant vorgezeichneten Modells: Das Begriffliche eines Gegenstandes spaltet sich in a posteriori und a priori auf. Husserl nennt diese Trennung phänomenologische Reinigung. Das a posteriori des Bewusstseins entspricht der Noema, dem gegenständlichen Inhalt des Denkens, während das a priori der Noesis entspricht, dem Prozess der Sinnbildung.

Darüber hinaus unterzieht Husserl das Bewusstsein als Sinnbildung selbst einer Aufspaltung in a posteriori und a priori. Mithilfe seines eigens entwickelten Verfahrens — der phänomenologischen Reduktion — unterscheidet er zwischen dem Phänomen der Sinnbildung (phänomenologischer Inhalt) und der Erscheinung der Sinnbildung (nicht-phänomenologischer Inhalt).

Im a posteriori, also faktisch betrachtet, ist das reine Bewusstsein ein intentionaler Strom des Erlebens. Ungefiltertes Bewusstsein, das nicht durch phänomenologische Reduktion gereinigt wurde, bleibt an seine Gegenständlichkeit gebunden und stellt ein konkretes Erlebnis dar, aus dem Sinn hervorgeht.

Der Leitsatz “Zurück zu den Sachen selbst“ verlangte, alle Phänomene durch den Schmelztiegel der phänomenologischen Reduktion zu führen, da jedes Phänomen (a posteriori) durch bestimmte Ursachen, also durch ein a priori, ins Leben gerufen wird. Husserl deutet die Ursachen der Sinnbildung auf die Existenz eines “erlebenden Ich“ hin. Folglich schlussfolgert er, dass es ein nicht-phänomenologisches Erleben gibt: einen intentionalen Strom von Erlebnissen, der das Bewusstsein konstituiert. Werden diese Erlebnisse durch phänomenologische Reduktion gefiltert, entsteht ein phänomenologisches Erlebnis — das Erleben des “Ich“ in Bezug auf seine eigenen Erlebnisse mit der Welt. Anders ausgedrückt: Das “Ich“, das die Welt erlebt, reflektiert über seine eigenen Erlebnisse. Es formt Sinn über die Welt hinaus und setzt die Sinnbildung in Bezug auf seine eigene sinnstiftende Tätigkeit fort. Dabei entsteht eine Hierarchie der Erlebnisse.

Das phänomenologische Erlebnis ist, wie Husserl betont, ein reflexives Erlebnis. Es stellt das Erleben des Subjekts über seine eigenen Erlebnisse dar. Über dem Bewusstsein als Strom der Erlebnisse erhebt sich eine “zweite Ebene“ — das Erleben dieses Stroms, das den Subjektcharakter der Erlebnisse offenbart. Diese “zweite Ebene“ unterscheidet den Akt des Erlebens vom Inhalt des Bewusstseins.

Husserl zieht daraus den Schluss, dass es notwendig ist, das Phänomen des Bewusstseins vom Erscheinungsbild des Bewusstseins zu unterscheiden. Durch die phänomenologische Reduktion tritt ein reines Bewusstsein hervor, das als Sinnbildung interpretiert wird. Dieses so verstandene Bewusstsein konstituiert den Gegenstand der Wissenschaft.

Nicht-phänomenologische Definition des Bewusstseins:

Phänomenologische Definition des Bewusstseins:

Die Sinnbildung ist der Inhalt des phänomenologischen Bewusstseins, aber der Prozess der Sinnbildung selbst ist nicht intentional und somit nicht-phänomenologisch (vor-phänomenologisch). Damit Sinnbildung aus einem “Strom von Bedeutungen“ intentional wird, ist eine phänomenologische Reinigung der Bedeutungen von gegenständlichem Inhalt erforderlich. So entsteht das reine Erlebnis.

Reines Erleben ist auch dann möglich, wenn der Gegenstand nicht existiert oder der Gedanke falsch ist — etwa beim Erleben des Nichtseins oder bei einem erfundenen Szenario. Der Mensch modelliert Situationen, nimmt mögliche Entwicklungen an und erlebt sie wie eine Realität.

Ein Beispiel findet sich im Film Die Blondine an der Ecke, in dem die Hauptfigur, gespielt von Tatjana Dogiljewa, die Zukunft ihres noch ungeborenen Sohnes modelliert. In ihrer Vorstellung, eines Tages ein Kind zu haben, stellt sie sich vor, wie ihr Sohn im Militärdienst heldenhaft sein Leben gibt, und vergoss bereits jetzt ein Meer von Tränen über seinen zukünftigen Tod.

Auf den von Husserl beschriebenen Mechanismen gründen nicht nur Erziehung und Bildung, sondern alle Formen sozialen und individuellen Daseins.

Nicht-phänomenologische Definition des Erlebens:

Phänomenologische Definition des Erlebens:

Bei Husserl wird das Erlebnis zu einem “zweiten Begriff des Bewusstseins“.

Das Lehrstück über die Zuverlässigkeit

Für Husserl ist die ständige Entwicklung seiner eigenen Ideen ein prägendes Merkmal seines Denkens, weshalb alte Konzepte oft in neuer Form erscheinen. In der fünften Untersuchung über Phänomenologie und Erkenntnistheorie des zweiten Bandes der Logischen Untersuchungen schreibt Husserl: “Es steht außer Zweifel, dass das zweite Bewusstseinsverständnis mehr ‚primär’ ist und zudem ‚an sich früher’.“ Bei der wissenschaftlichen Systematisierung kann von diesem engeren Begriff zum ersten, umfassenderen Begriff übergegangen werden. Unter dem ersten Begriff des Bewusstseins versteht Husserl die Sinnbildung als intentionale Erfassung des Gegenstandes.

Die erste Definition des Bewusstseins — die Sinnbildung — wird als “erlebter Inhalt“ interpretiert, die zweite — das eigentliche Erleben — als “erlebendes Bewusstsein“. Die erste ist morphologisch dem Passiv zuzuordnen und bildet eine passive Konstruktion, die zweite dem Aktiv und formt eine aktive Konstruktion. Das zweite, das erlebende Bewusstsein, das heißt das Bewusstsein, das sich im Zustand (Prozess) des Erlebens befindet, bildet den Kern des “Ich“.

Das “Ich“-Kern ist begrifflich nicht fassbar und unausdrücklich, aber dennoch offensichtlich zuverlässig. Deshalb, so widerspricht Husserl Descartes, ist es nicht das, was “ich denke“ (“cogito, ergo sum“), was offensichtlich zuverlässig ist, sondern dass “Ich“ mein eigenes Sinnbilden, meine Gedanken letztlich erlebe.

Für ein tieferes Verständnis von Husserl und als Ergänzung dazu kann ein Ausflug in die Etymologie des Wortes “Erlebnis“ erfolgen.

Der ursprüngliche Sinn des Wortes “Erlebnis“ ist “in Bewegung versetzt“, also bewegt: Abgeleitet vom 12. Jahrhundert, bezeichnet es das Aufbrausen und die Aufregung durch einen Hundehaufen. Besonders bemerkenswert ist: “Erlebnis“ bedeutet etymologisch nicht Handlung oder das In-Bewegung-Bringen, sondern “in Bewegung versetzt“ sein.

Wenn man die Analyse der natürlichen Sprache heranzieht, so bedeutet die Definition des Bewusstseins als Erlebnis, dass Bewusstsein die Folge und das Resultat einer Handlung ist. Das Wort “Erlebnis“ wurde vom unvollständigen transitiven Verb abgeleitet. Worin besteht die Spezifik der “Transitivität“ des Verbs? Es liegt darin, dass transitive Verben aufgrund ihrer Wortbildungsstruktur stark die Kasus regieren und im Satz mit dem Subjekt der Handlung korrelieren. Gerade dieses Subjekt, das von der intuitiven Weisheit Husserls erfasst wurde, hat ihm keine Ruhe gelassen. Dieses Subjekt existiert implizit im “Erlebnis“, es ist, unsichtbar, in der Wortbildungsstruktur des natürlichen Sprachbegriffs selbst verankert. Dieses Subjekt wurde von Husserl mit Hilfe der phänomenologischen Reduktion des Begriffs “Sinnbildung“ entdeckt.

Der Mensch akzeptiert einen bestimmten Zustand als wahr, weil er nicht nur annimmt, sondern mit Gewissheit erkennt, dass das Wahrgenommene genau so gegeben ist. Er ist überzeugt, weil das Erlebnis dem Menschen Information als adäquate Wahrnehmung des Gegenstandes vermittelt. Adäquat wahrgenommen — unabhängig davon, ob es in unklaren Äußerungen ausgedrückt wird oder ungesagt bleibt — bildet es den erkenntnistheoretisch ersten und absolut zuverlässigen Bereich (die Information) dessen, was im Moment durch die phänomenologische Reduktion des Bewusstseins zustande kommt. Hier tritt die berühmte husserlsche Analyse der Zeit in Erscheinung, in der der Bewusstseinsstrom verläuft und auf die später viele Philosophen zurückgreifen werden. (Eine Parallele zum Bewusstsein des Nichts könnte gezogen werden).

Wie nimmt der Mensch die Zeit wahr? Und was nimmt er wahr, wenn er die Zeit wahrnimmt? Es geht nicht um die Zeit des Bestehens der Dinge, sondern um die Zeit, in der phänomenologisch reines Bewusstsein möglich ist. Jede Phase der Wahrnehmung der Zeit besitzt eine Form, die den gesamten Inhalt der Zeit in dieser Phase umfasst. Von Phase zu Phase ändert sich der Inhalt der Zeit, doch die Form der Wahrnehmung der Zeit bleibt identisch. Dies bezeugt, dass Bewusstsein nichts anderes ist als ein Strom von Erlebnissen.

Bewusstsein als Strom von Erlebnissen vermittelt nicht nur eine adäquate, offensichtlich zuverlässige Wahrnehmung des Gegenstandes, sondern ist auch der konstituierende Bestandteil des empirischen “Ich“, wie Husserl unter Bezugnahme auf P. Natorp zusammenfasst.

Der Strom der Erlebnisse ist die primäre, ursprüngliche, unzweifelhaft offensichtlich zuverlässige Gewissheit, die Descartes im cogito suchte.

Husserl präzisiert nicht, ob es das adäquate Wahrnehmen ist, das das Erlebnis zum “Kern“ und zur offensichtlich zuverlässigen Gewissheit macht, oder ob die Unmittelbarkeit des Erlebnisses dem “ersten Akt“ den Charakter der Adäquanz verleiht. Wenn man der ersten Ansicht folgt (was für den späten Husserl charakteristisch ist), könnte man ihn als epistemologischen Transzendentalisten bezeichnen. Wenn man der zweiten Ansicht folgt (was für den frühen Husserl charakteristisch ist), könnte man ihn als Ontologen bezeichnen. Wahrscheinlich wurde diese Frage von Husserl nicht eindeutig gelöst, und seine Schwankungen in dieser Hinsicht führten zur Entstehung von zwei gleich erfolgreich florierenden phänomenologischen Schulen. Aber darauf kommen wir später zu sprechen.

Lehre vom Lebenswelt

Bereits wurde festgestellt, dass das Wort “Erlebnis“ von einem transitiven Verb im unvollständigen Aspekt abgeleitet ist. Werfen wir einen Blick auf die Analyse des Aspekts des Verbs. Das Verb und die verbale Form im unvollständigen Aspekt, wie das Partizip “in Bewegung gesetzt“, enthalten keine Hinweise auf die Grenzen der ausgeübten Handlung, wie etwa qualitative, zeitliche und quantitative Grenzen der Handlung und deren Intensität. Der unvollständige Aspekt deutet in der Regel auf eine zusätzliche Bedeutung von Wiederholbarkeit und Unterbrechung der Handlung hin.

Kehren wir nun erneut zu Husserl zurück.

Die erste Definition des Bewusstseins als Sinnbildung signalisiert die Bewegung vom Subjekt zum Objekt, vom Zeichen des Objekts zu dessen Bedeutung, zur Zuweisung von Sinn zum Objekt. Doch eine solche Bewegung erscheint offensichtlich sinnlos, wenn nicht bereits eine ursprüngliche Bewegung vom Objekt zum Subjekt stattgefunden hat. Wie kann die Bedeutung des Objekts gebildet werden, wenn es kein Objekt gibt? Mit anderen Worten: Wenn es kein Objekt gibt, wird der Prozess der Sinnbildung unmöglich. Dies, zum Ersten.

Kann die Bewegung vom Objekt zum Subjekt, von der Welt zum Bewusstsein, in der zweiten Definition des Bewusstseins erscheinen? Doch die zweite Definition des Bewusstseins als Erlebnis signalisiert eine Bewegung innerhalb des “Ichs“, vom “Ich“-Phänomen zum “Ich“-Ereignis, vom “Ich“-Kern zum “Ich“-empirischen. Dies, zum Zweiten.

Es ist nicht zufällig, dass Husserl im Laufe der Zeit die dritte Definition des Bewusstseins einführt: das Bewusstsein als Lebenswelt.

Das Auftreten des Bewusstseins als Lebenswelt ist eine zweite intuitive Weisheit, die Husserl aus der Wortbildungsstruktur der natürlichen Sprache erfasste: Bewusstsein wird prinzipiell offen, themenfrei, vorobjektiv, hermeneutisch. Bewusstsein erscheint nun als Lebens-Erlebnis, und in die Phänomenologie wird der Begriff der “Lebenswelt“ eingeführt. Wiederholt kritisiert Husserl den philosophischen Naturalismus und die Wissenschaften für den Versuch, die Welt an sich zu erkennen und zu verstehen, ausschließlich als objektiv, unabhängig vom Bewusstsein.

In der Wissenschaft und im Naturalismus steht die objektive Welt dem Subjekt gegenüber. Die Wissenschaft hat die objektiven Merkmale der Welt übertrieben, die Welt zum Objekt gemacht und dabei ihre Ursprünge vergessen. Husserl ist der Ansicht, dass es an der Zeit ist, die objektive Welt in ihre ursprüngliche Stellung zurückzuführen, die Welt auf den Kopf zu stellen, aus der objektiven Welt eine Lebenswelt zu machen, die nicht dem Bewusstsein gegenübersteht, sondern vielmehr mit dem Bewusstsein zusammen einen gemeinsamen Horizont bildet als intersubjektive Bedingung für das Bestehen von Welt und Bewusstsein. Die Lebenswelt als Bewusstsein-in-der-Welt, als Sein-in-der-Welt — doch dies wird nach Husserl bei M. Heidegger weitergeführt.

Der Horizont ist der Hintergrund, vor dem Bewusstsein auf die Welt der Objekte trifft. Der Horizont hat keine Bestimmtheit, er ist vorobjektiv. Doch der Horizont bei Husserl unterscheidet sich prinzipiell von den apriorischen Formen bei Kant.

Bei Kant hatten die apriorischen Formen der Sinne und des Verstandes keinen Inhalt; den gesamten Inhalt erhielt der Subjekt aus der Erfahrung, im Prozess der Aktivität; die apriorischen Formen ordneten lediglich die Erfahrung. Daher kommt das Loblied auf die Aktivität, die Verehrung derselben bei allen Vertretern der deutschen klassischen Philosophie.

Bei Husserl jedoch ist die apriorische, vorobjektive Form der Horizont. Die Welt ist bei Husserl kein objektiv gegebenes Konstrukt. Da das Bewusstsein prinzipiell intentional ist, ist das Bewusstsein bereits objektiv, und Wünsche, Vorstellungen, Denken insgesamt sind bereits inhaltlich. Aus diesem Grund bedarf es des Zusatzes empirischen Materials nicht, wie es bei Kant notwendig war, um Denken zu ermöglichen. Man könnte hinzufügen: Die Hinzuziehung empirischen Materials ist notwendig zur Bestimmung der Angemessenheit des Bewusstseinsinhalts, zur Prüfung seiner Richtigkeit — jenes, was als “Kriterium der Wahrheit“ bezeichnet wurde.

Das Bewusstsein ist intentional, und als “Horizont“ ist es bereits gefüllt, es besitzt eine vorläufige Kenntnis des Objekts, da es ursprünglich auf das Objekt gerichtet ist — darin liegt die Objektivität des Bewusstseins. Dieser Punkt wird für die philosophische Hermeneutik von zentraler Bedeutung werden. Der “Horizont“ als themenfreie (vorobjektive) Ebene des Bewusstseins wird das Fundament für das “Vorverständnis“ bei Heidegger und später für die Stellung zur Hermeneutik des Seins darstellen.

Indem Husserl die beiden Begriffe — “Lebenswelt“ und “Horizont“ — einführt, hat er keine Klarheit über ihre Unterscheidung verschafft, doch der zentrale Indikator für den Horizont ist zeitlich.

Der Horizont bezeichnet den Punkt, aus dem die Zukunft herbeigeführt wird; folglich ist der Horizont nicht mehr ein Punkt, sondern das Fundament der Zukunft. Die Lebenswelt und der Horizont — Formen der Aktualität, in denen die Formen der Zukunft konzentriert sind. Sehr vereinfacht lässt sich der Lebenswelt und der Horizont als aktuell-räumliche und aktuell-zeitliche Aspekte des Lebens-Erlebens unterscheiden, als intersubjektive (räumliche und zeitliche) Bedingungen für die Begegnung des Bewusstseins mit dem Objekt.

Lehre von der Evidenz. Entwicklung von Husserls Ideen
Mit dem Begriff der Zeit, oder Dauer, verknüpft Husserl einen bestimmten Charakter der Wahrnehmung der umgebenden Welt, den er als Evidenz bezeichnet. “Evidenz... kann nicht bedingungslose Gewissheit über das punktuelle zeitliche Sein bedeuten...“, so versteht Husserl Evidenz als “Fiktion“, die keinerlei Bezug zum objektiven Charakter der Wahrnehmung hat. Das Wesen der Evidenz liegt darin, dass sie eine “zeitliche Ausdehnung“ ist, die keinen “empirischen stofflichen Gehalt“ in sich trägt. Evidenz enthält Unterschiede, jedoch sind diese nicht Trennungen; sie ist ein “untrennbares Einheit“ der Wahrnehmung eines Gegenstandes, sie ist das “Urvorkommende“. Die Elemente der Evidenz unterscheiden sich voneinander (verschieden), aber sie sind nicht voneinander getrennt (geschieden). Der Inhalt der Evidenz ist das “Bewusstsein der Einheit“, das nach Husserl zugrunde liegen muss.
Mit dem Begriff des “Horizonts“ erweitert Husserl die phänomenologische Ontologie zu einer phänomenologischen Epistemologie und verleiht seiner Philosophie einige systematische Qualitäten.
Trotz des Gesagten verlangt die phänomenologische Philosophie noch immer bedeutende intellektuelle “Investitionen“. Widersprüchlich sind vor allem zwei Einstellungen — die des frühen Husserl und die des späten Husserl. Zwei Positionen: die Hinwendung zu den Dingen selbst (Fokussierung auf die Ontologie) — einerseits, und die noetische Deutung des Gegenstandes (Fokussierung auf die Epistemologie) — andererseits, markieren zwei Phasen in Husserls Schaffen und zeugen insgesamt von der Widersprüchlichkeit seiner philosophischen Grundlage, von der Unentschiedenheit bezüglich der Frage, was Phänomenologie eigentlich ist: Ontologie oder Methode? Dies zeigte sich in der Spaltung von Husserls Schülern, die sich entsprechend in Ontologen und Transzendentalisten aufteilten, obwohl beide Gruppen Phänomenologen blieben.
Die Ontologen — die älteren Phänomenologen, zu denen der Lieblingsschüler Husserls, M. Heidegger, sich gesellte — nahmen die frühe Idee des Meisters, das “radikale Hinwenden zu den Dingen“, als Hauptposition an. Was ist überhaupt Realität? Was ist die Essenz der Natur? Wie treten die Eigenschaften der Natur tatsächlich auf? Woran zweifeln wir nicht, wenn wir an der Objektivität und Realität der Welt keinen Zweifel hegen? Welchen Gehalt der Realität entspricht die Noema? Und ist diese Realität nicht gerade die, die Husserl durch seine phänomenologische Reduktion ausgeklammert hat? Entweicht die Realität, während wir den Bedeutungsstrom des Bewusstseins einfangen? Dieses Bewusstsein gibt uns das Sein: Sein ist nichts anderes als das Sein, das vom Bewusstsein gesetzt wird. Was bleibt, wenn man die Noema (den Gedanken) von der Noesis (dem Denken) abzieht? Es ist leichter, die entgegengesetzte Frage zu beantworten: “Was bleibt von der Erzählung übrig, nachdem sie erzählt wurde?“
Die Transzendentalisten behielten den Begriff der “transzendentalen Subjektivität“ bei, zu denen der unmittelbare Schüler Husserls, M. Scheler, sich gesellte.
In der Linie der Transzendentalisten arbeitete J.-P. Sartre. Wenn er Husserls Begriff der “Intentionalität“ untersucht, schrieb Sartre: Das Bewusstsein (Subjekt) und die Welt (Objekt) koexistieren miteinander, wobei sie zueinander äußerlich sind. Bewusstsein als Intention vollzieht einen “Durchbruch zu...“. Sie zum Beispiel sehen einen Baum — am Straßenrand, im Staub, einsam und verzerrt in der Hitze. Das Bewusstsein des Baumes bricht aus sich heraus, um von sich selbst zu entkommen, zu dem, was nicht du selbst bist. Erkennt ihr in dieser Beschreibung nicht eure eigenen Bestrebungen und Vorahnungen? Wenn ihr “in“ das Bewusstsein eindringen würdet, würdet ihr vom Wirbel erfasst und wieder nach draußen geworfen werden, zum Baum, mitten in den Staub, weil das Bewusstsein keine “Innerlichkeit“ hat, es existiert nur außerhalb von sich selbst, und gerade dieses absolute Entkommen, diese Ablehnung, Substanz zu sein, bestimmen es als Bewusstsein.
Sartre zitiert die Worte Husserls: “Jedes Bewusstsein ist Bewusstsein von etwas“ und fährt mit den Worten von M. Heidegger fort: Sein (das Sein des Bewusstseins) ist Sein-in-der-Welt. Es ist das “Sein-in...“ im Sinne der Bewegung. Sein bedeutet, in die Welt durchzubrechen, aus dem Nicht-Sein der Welt und des Bewusstseins hervorzutreten, um plötzlich zum Bewusstsein-des-Durchbrechens-in-die-Welt zu gelangen. Und auch wenn das Bewusstsein versucht, sich selbst wiederherzustellen, schließlich mit sich selbst in Einklang zu kommen — im Gefängnis, in der Wärme und Geborgenheit verschwindet es. Diese Notwendigkeit des Bewusstseins, als Bewusstsein von einer ihm anderen Sache zu existieren, nennt Husserl “Intentionalität“.
Man kann zusammenfassen: Der Baum, von dem Sartre schrieb, kann auf mindestens zwei Arten dargestellt werden. Erstens, ganz alltäglich, kann man sich den Baum vorstellen und ihm bestimmte Merkmale zuschreiben. Das wird der Baum — Noema. Zweitens, man kann das Baum-Noema in das Baum-Noesis verwandeln, in die Intentionalität-zu-dem-Baum. Dann kann man sehen, wie Ich mir dieses Ding — den Baum — eröffne. Letztlich befindet sich alles außerhalb von uns, wie Sartre gesagt hätte, auch wir selbst.