Die Philosophie von Martin Heidegger und die Existenzphilosophie

Einführung in Die Moderne Philosophie - 2024



Die Philosophie von Martin Heidegger und die Existenzphilosophie

Allgemeine Charakteristik des Existenzialismus

Die Philosophie Martin Heideggers nimmt einen besonderen Platz in der Philosophie des 20. Jahrhunderts ein. “Heidegger lässt niemanden unberührt. Der Kontakt mit seinen Schriften ruft ein äußerst vielfältiges Bild von Reaktionen hervor — von begeisterter Verehrung und dem Wunsch, ihm nachzueifern, bis hin zu empörter Ablehnung und kategorischer Zurückweisung.“

Heideggers Ideen haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung der Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie auf das gesamte Spektrum des humanistischen Wissens insgesamt ausgeübt. Es gelang ihm, den “Puls der Zeit“ des 20. Jahrhunderts zu ergreifen, indem er die zentralen Probleme der Philosophie benannte — die Probleme des Geistes und der Spiritualität, durch die Linse der Fragen nach dem Sein, der Kultur, der Zivilisation, des Denkens, der Wahrheit, der Kreativität und der Persönlichkeit. Doch seine Philosophie kann nicht verstanden werden, ohne sich mit dem begrifflichen Apparat Edmund Husserls auseinanderzusetzen.

Als Epigraph zu Heideggers Philosophie könnte, mehr als bei irgendjemandem sonst, die berühmte erste Zeile aus dem Johannesevangelium dienen: “Im Anfang war das Wort“, wie sie von Boris Pasternak übersetzt wurde:

“Im Anfang war das Wort?“ Schon die ersten Zeilen
Ein Rätsel. Habe ich den Wink verstanden?
Denn ich stelle das Wort nicht hoch genug,
Um zu glauben, es sei der Anfang von allem.
“Im Anfang war der Gedanke.“ Hier ist die Übersetzung.
Dieser Vers gibt es besser wieder.
Ich werde nachdenken, jedoch, um nicht gleich
Das Werk mit der ersten Zeile zu verderben.
Konnte der Gedanke dem Leben Atem verleihen?
“Im Anfang war die Macht.“ Das ist der Kern!
Doch nach kurzem Zögern
Verwerfe ich diese Auslegung.
Ich bin, wie ich sehe, wieder in Verwirrung geraten:
“Im Anfang war die Tat“ — so lautet der Vers.

Heidegger kann als ein Klassiker der existenziellen Philosophie und der philosophischen Hermeneutik angesehen werden. Einen bedeutenden Beitrag leistete er zur Lehre der Phänomenologie und sogar zum philosophischen Mystizismus — auf dieser Grundlage lassen sich vier Phasen seiner Schaffensgeschichte herausarbeiten. Doch vor allem bleibt Heidegger Existenzialist: Er verherrlicht den Menschen und sein Sein, selbst wenn er sich später vom Existenzialismus distanziert. Das Sein des Menschen ist für Heidegger das “Werk des Lebens“. Angesichts der Widersprüche, die zwischen Heidegger und seinen zeitgenössischen Existenzialisten auftraten, kann man dennoch behaupten, dass Heidegger im Geist ein Existenzialist bleibt. In der Nachfolge der Vertreter der “Lebensphilosophie“, insbesondere Søren Kierkegaard, entwickelt er die Idee der prinzipiellen Unerreichbarkeit des wahren Seins des Menschen — der Existenz —, das im traditionellen begrifflichen Rahmen nicht erfasst werden kann, und deshalb verzichtet er auf den traditionellen Kategoriensystem der Philosophie, das seit dem 17. Jahrhundert, seit Francis Bacon und René Descartes, formuliert wurde.

Die Lehre vom Wesen des Menschen und das Konzept der Existenz

Heidegger glaubt, dass der Mensch “das seiende Wesen ist, das auf Weise der Existenz existiert ... Nur der Mensch existiert“. Ein Felsen, ein Baum, ein Pferd, ein Engel, Gott existieren, aber sie existieren nicht im existenziellen Sinne. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Mensch wirklich ein “seiendes Wesen“ ist und alles andere “unwirklich“, eine bloße Erscheinung oder menschliche Vorstellung.

“Der Satz ‚Der Mensch existiert’ bedeutet: Der Mensch ist dasjenige Sein, dessen Sein durch ein offenes Stehen im Inneren des Unverborgenseins des Seins geprägt ist, das sich durch das Sein unterscheidet und im Sein abgegrenzt ist. Das existenzielle Wesen des Menschen ist die Grundlage dessen, dass der Mensch sich das Seiende als solches vorstellen kann und ein Bewusstsein über das Vorgestellte hat.“ Die Spezifik des menschlichen Bewusstseins liegt darin, dass es (das Bewusstsein) die Existenz als das Essentielle des Menschen voraussetzt, das heißt, als das Wesentliche. Das Wesen des Menschen wird von Heidegger als “das, worin der Mensch existiert, solange er Mensch ist“ verstanden.

So ist das Wesen des Menschen in seiner Eigenschaft als Mensch zu begreifen. Heidegger glaubt, dass die wesentliche Qualität des Menschen sich von seiner “Selbstheit“ unterscheidet. (An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Heidegger ein Schüler von Husserl war, der den Unterschied zwischen Phänomen und Erscheinung betonte.) Die Selbstheit des Menschen ist die Qualität des Menschen als seiendem Wesen, als Erscheinung, jedoch nicht als Wesenheit. Die Selbstheit des Menschen ist die erste Bestimmung des Menschen. Existenz ist das Phänomen des Menschen — die Qualität des Menschen als Wesen.

Der Mensch ist ein seltenes Wesen, wenn man das prozentuale Verhältnis zur Biomasse, zu allem Lebendigen auf der Erde, betrachtet. Aber seine Seltenheit liegt nicht nur in der geringen Masse. Die Seltenheit des Menschen besteht darin, dass der Mensch sich nicht die Frage stellt, warum er denkt.

Heidegger beschreibt die moderne Situation: Der Mensch bemüht sich, sich von den Fragen abzugrenzen: Warum gibt es Sein und nicht das Nichts? Was ist der Kern des Seins? Was ist das wahre Sein? Das bedeutet nicht, dass der Mensch sich dessen nicht bewusst ist. Ganz im Gegenteil, er ahnt es, aber bemüht sich, nicht darüber nachzudenken. Der Mensch, wie eine Spinne, webt ein Netz wissenschaftlicher Begriffe und Konzepte, eroberte den Weltkreis immer mehr, erarbeitete immer neue Wege, sich darin zu orientieren und sich selbst zu ordnen. Die Welt des Menschen hat sich in bloße Namen verwandelt, das Sein ist nahezu verschwunden.

“Bei der Bestimmung der Menschlichkeit des Menschen als Existenz ist nicht der Mensch selbst entscheidend, sondern das Sein als ekstatisches Maß der Existenz.“ Das Sein ist das Thema der Philosophie. Die moderne Philosophie kann nicht als solche bezeichnet werden, da sie sich ihrem Thema, der Metaphysik, zugewandt hat und nur über die Physis (die Natur) und das Seiende spekuliert. Aus dem Sein, über das die antiken Philosophen sprachen, haben die sogenannten “Philosophen“ das Seiende gemacht. Der Mensch hat den Sinn des Lebens vergessen, und “die Erkenntnis ist der Mut, vor allem die Wahrheit der eigenen Voraussetzungen und den Raum der eigenen Ziele infrage zu stellen“. Es sei darauf hingewiesen, dass Heidegger sich mit den Voraussetzungen und Zielen des Menschen beschäftigt — hier wird sich das “Hauptgeschehen“ entfalten.

Fundamentale Ontologie: Die Lehre vom Sein

Metaphysik, wörtlich “das, was nach der Physik kommt“, das heißt nach der Natur, beschäftigt sich mit der Suche nach den Anfängen dieser Natur. Doch warum, fragt Heidegger, wird diese Suche nach den Anfangsursachen des Seienden mit einem völlig anderen Begriff, dem Begriff des “Seins“, bezeichnet?

Das Seiende, oder auch das Existierende, muss ein Konzept haben, das es widerspiegelt — und dieses Konzept existiert bereits: das Konzept des “Seienden“. Entsprechend muss es für die Bezeichnung der Anfänge des Seienden (der Anfänge des Existierenden) ein Konzept der “Anfänge des Seienden“ geben.

Das Sein als solches ist nicht das Seiende. Daher ist es unzulässig, das Sein mit dem Begriff “Seiendes“ zu benennen. Ebenso dürfen die Anfänge des Seins nicht mit dem Begriff “Anfänge des Seienden“ bezeichnet werden. Die Anfänge des Seins sind die Anfänge des Seins; die Anfänge des Seienden sind die Anfänge des Seienden, und man sollte diese unterschiedlichen Anfangsursachen nicht vermengen.

Heidegger ist prinzipiell gegen den Austausch der Begriffe. Das Sein “ist es selbst… Das Sein ist weder Gott noch die Grundlage der Welt. Das Sein ist weiter als alles Seiende, und dennoch ist es dem Menschen näher als jedes Seiende… Das Sein ist das Nächste. Doch das Nächste bleibt für den Menschen das Entfernteste“, da der Mensch sich vor allem am Seienden festhält, sich über das Seiende freut, ohne das Seiende nicht leben kann, und — leider — auch ohne das Sein auskommt.

Die Lehre vom Seienden und von seinen Anfängen ist die Ontologie; “ontos“ bedeutet aus dem Griechischen übersetzt “Seiendes“, und Ontologie ist die Lehre von der Essenz des Seienden. Doch die Metaphysik vermischte das Seiende als solches mit dem göttlichen Seienden. Das Seiende ist verborgen, das göttliche Seiende hingegen ist unverborgen. Das Unverborgene Seiende ist das Sein. Die traditionelle Metaphysik offenbart das verborgene Seiende und behandelt somit das nicht-göttliche Seiende. (An dieser Stelle tritt Heidegger gegen die tausendjährige europäische Tradition ein.) Das Unverborgene Seiende, oder das Sein, kann nicht mehr mit dem traditionellen Begriff “Ontologie“ benannt werden, sondern muss als “fundamentale Ontologie“ bezeichnet werden.

Der Begriff “fundamentale Ontologie“ deutet darauf hin, dass hier nicht das Seiende oder die Wahrheit des Seienden im Mittelpunkt stehen, sondern das Sein und die Wahrheit des Seins. “Das Denken des Seins sucht sich keinerlei Stütze im Seienden. Das Seinsdenken ist empfindlich für die langsamen Zeichen des Unvorhersehbaren und erkennt darin das unweigerliche Kommen des Unabwendbaren. Dieses Denken ist aufmerksam auf die Wahrheit des Seins und hilft dem Sein der Wahrheit, seinen Platz im historischen Menschsein zu finden.“

Um zur Problematik des Seins zurückzukehren, muss der Mensch, dem dieses Sein eigen ist, bedacht werden, da das Sein — das Sein des denkenden Menschen über sich selbst ist. Um dieses menschliche Sein zu fassen, führt Heidegger in “Sein und Zeit“ den Begriff “Dasein“ ein — “Da-Sein“, das heißt das Sein, das dem Menschen offen steht: “Da“. Anders ausgedrückt bedeutet “Da“ — Offenheit, und es beschreibt die Art der Beziehung des Menschen zur Welt als Voraussetzung des Seins. Der Ort, an dem der Mensch steht und an dem ihm dieses “Da“ des Seins begegnet, wird von Heidegger als “Gegenwart“ bezeichnet — der Ort, an dem die lebenssinnhaften Ziele des Menschen zusammenfließen.

Die Lehre vom Sinn des menschlichen Seins

Um das spezifisch menschliche Sein zu ermitteln, dessen Essenz in seiner Existenz liegt, führt Heidegger die Existenzialien ein — Begriffe, mit deren Hilfe sich der Essenz des Menschen — der Existenz — nur annähern lässt. Dazu gehören das erwähnte “Da-Sein“ und die “Sorge“.

Die Einführung neuer Begriffe ist kein willkürlicher Akt des Autors. “Dasein“, oder “Da-Sein“, wird als der Sinn des menschlichen Seins verstanden.

Heidegger beansprucht, die philosophischen Probleme eigenständig zu lösen, ja, neue Fragen zu stellen — die Frage nach dem Sinn des Lebens im existenziellen Maßstab des Lebens. Die Beschreibung des Lebenssinns des Menschen mit Begriffen vergangener Systeme ist unzulässig, da die Anwendung alter Begriffe unbewusst zu einer Übernahme der Annahmen früherer Denkstrukturen führt. Und hierin hat Heidegger zweifellos recht.

Früher wurde angenommen, dass der Mensch in Raum und Zeit lebt. Doch der Raum des Menschen kann nur mit dem menschlichen Raum in Beziehung gesetzt werden. In den Überlegungen zum Menschen, so Heidegger, kann niemals die Rede vom physischen Raum sein. Der Mensch besitzt einen eigenen Raum — den existenziellen Lebensraum. “Da“ bedeutet nicht nur, sondern spezifiziert den Ort des Menschen im existenziellen Lebensraum.

Der zweite Teil des Begriffs “Da-Sein“ bedeutet, dass das Sein des Menschen nicht nur Lebensraum ist, sondern ein kulturell-historischer Raum. Und dieser kulturell-historische Raum ist bereits kein kulturell-historischer Raum mehr, sondern kulturell-historische Zeit.

Im Gesamtbild bedeutet “Da-Sein“, wie Heidegger abschließend feststellt, den Ort des Menschen in seiner Historizität, in dem der Raum nicht parallel zur Zeit existiert, sondern in sie eingebaut ist, was bedeutet, dass im existenziellen Sein das Werden des Menschen als Sein vor uns steht. Daher wird die zentrale Eigenschaft des “Da-Seins“ die Sorge, die wie folgt bestimmt wird: “immer vor sich selbst in der Welt sein“.

In der klassischen Philosophie hatte jede Kategorie fast immer eine entgegengesetzte, polare Kategorie. Kategorien schauten daher meist “aufeinander“ und standen sich entgegen. Heidegger jedoch lädt seine Begriffswelt mit der Eigenschaft kontinuierlicher Unruhe und bestimmt den Vektor: die Zukunft. Da das Sein des Menschen prinzipiell temporal ist, müssen auch die Begriffe — die Existentialien, die das temporale Sein des Menschen beschreiben — zeitlich sein.

So schreibt Heidegger selbst: “Existenz ist ein ‚Seins’-Modus, und zwar das Sein dessen, was sich für das Offenbarwerden des Seins öffnet, wobei dieses Seiende im Offenbarwerden des Seins verbleibt. Diese Fähigkeit zu verweilen wird als ‚Sorge’ durchdacht. Das ekstatische Wesen der Gegenwart wird durch die Sorge verstanden, genauso wie umgekehrt die Sorge in ihrem ekstatischen Wesen nur zufriedenstellend durchdacht werden kann. Dieses Herausgehen ist das Wesen der Ekstase, wie es hier gedacht werden muss. Das ekstatische Wesen der Existenz wird daher auch dann nicht ausreichend verstanden, wenn man es nur als ‚Heraustreten’ und ‚hinaus’ begreift und ‚hinaus’ als Abkehr vom Inneren des Bewusstseins und des Geistes versteht. Denn eine solch verstandene Existenz würde immer noch als ‚Subjektivität’ und ‚Substanz’ erscheinen, während ‚hinaus’ unweigerlich als das Herausgehen des Offenbarwerdens des Seins verstanden werden muss. Der Status der Ekstase beruht — wie seltsam es auch klingt — auf dem Verstehen des Verweilens im Inneren dieses ‚hinaus’, dieses ‚Da’ der Unverborgenheit, in welchem das Sein verweilt. Das, was man im Begriff ‚Existenz’ verstehen muss, wenn dieses Wort in einer durch das eigene Sein gedachte Wahrheit des Seins verwendet wird, könnte treffend mit dem Wort ‚Verweilen’ bezeichnet werden.“

Die Verwendung dieses langen Zitats dient einzig dem Zweck, die Offenheit von Heideggers Denken zu wahren und sein “Da-Sein“ zu zeigen.

Das Lehrstück über die Sprache als Wahrheit des Seins

Heidegger beschäftigt sich lange mit der antiken griechischen Philosophie, die erstmals das Konzept des "Seins" hervorgebracht hat. Wenn man eine semantische Übersetzung vornimmt, so sollte das antike griechische "Sein" im modernen Sprachgebrauch "gegenwärtig sein" bedeuten: "Die Essenz dieser Gegenwart verbirgt sich tief im ursprünglichen Namen des Seins... In der Gegenwart herrschen unbedacht und verborgen die Gegenwart und Dauer, herrscht die Zeit. Das Sein als solches... öffnet seine Verborgenheit im Laufe der Zeit. So weist die Zeit auf die Verborgenheit hin, d.h. die Wahrheit des Seins."

An dieser Stelle folgt Heidegger erneut dem Weg, den Husserl vorgezeichnet hat, und unterscheidet zwischen Zeit als "Verlauf des Seienden" (Erscheinung) und Zeit als "eigenem Namen der Wahrheit des Seins" (Phänomen). Letzteres — die Wahrheit des Seins — wird, wenn sie mit dem Menschen verbunden wird, als Verstehen bestimmt. Es ist das Verstehen des Menschen von seinem Sein, seiner Wahrheit, seinem Sinn: "Der Sinn des Seins" und "die Wahrheit des Seins" sagen dasselbe, so Heidegger.

"Der Mensch... ist durch das Sein in die Wahrheit des Seins geworfen, um in seiner Existenz... die Wahrheit des Seins zu bewahren, damit das Seiende im Licht des Seins als das Seiende erscheint. Wie es ist... ob es erscheint und wie es erscheint... entscheidet der Mensch selbst." Der Sinn des Seins liegt darin, dass das Sein in seiner Verborgenheit gegeben ist, d.h. der Sinn wird dem Menschen unmittelbar offenbart. Die Offenheit des Sinns — des Sinns des Seins — ermöglicht es, vom Verstehen des Sinns (des Sinns des Seins) zu sprechen, also vom Verstehen des Seins selbst.

Verstehen ist die Offenheit ("Hier") des Menschen für die Zeit, wenn Zeit als "eigener Name der Wahrheit des Seins" betrachtet wird. Verstehen ist die Offenheit zur Welt, es ist das Sein-im-Welt, das Sein-mit-Anderen. "Das vereinende" Prinzip ist die Sprache, die nur durch sie dem ganzen Weltgeschehen seine der Sprache eigene Einheit verleiht. "Der Gedanke, dem die Stimme des Seins folgt, sucht nach einem Wort, in dem sich die Wahrheit des Seins offenbart... Dies ist die Sorge um den Gebrauch der Sprache. Aus der lange bewahrten Sprachlosigkeit und der sorgfältigen Klärung des Gebiets, das sich darin erleuchtet, kommt das Sprechen des Denkens... Der Denkende gibt dem Sein ein Wort."

"Mit einander sprechen heißt: gemeinsam über etwas sprechen, einander zeigen, was im Gesagten das Besprochene aufdeckt, es mit sich selbst ans Licht führt. Das Ungesagte ist nicht nur das, was sich nicht aussprechen lässt, sondern das Ungesagte, noch nicht Gezeigte, noch nicht Offenbarte. Das, was ungesagt bleiben muss, das, was im Ungesagten zurückgehalten wird, verbleibt als Ungesagtes im Verborgenen, es ist ein Geheimnis."

Das Wesen der Sprache ist ein Sprechen über etwas. Wenn die Sprache über das Sein spricht, das verborgen ist, so spricht die Sprache nicht einfach aus, sie enthüllt nicht das Geheimnis, weil es kein Geheimnis gibt — wenn die Sprache über das Sein spricht, weist die Sprache hin.

Jede Rede über die Sprache besteht gewissermaßen aus zwei Aspekten:

  1. dem Sprechen, also der Aussprechung von Gedanken durch die Sprache,
  2. dem Hören auf die Sprache, mit der wir sprechen.

Das Hören auf die Sprache ist die Voraussetzung für das Sprechen, sonst wird das Sprechen bedeutungslos.

Um zu sprechen, muss man hören, was uns die Sprache sagt, d.h., man muss hören, wie die Sprache spricht. Dies ist der erste Aspekt. Aber, fragt Heidegger, kann die Sprache überhaupt sprechen? Hat die Sprache eigene Werkzeuge des Sprechens? Natürlich nicht. Dies ist der zweite Aspekt.

Aber zwischen dem "Ersten" und dem "Zweiten" besteht kein Widerspruch. Die Sprache spricht uns ihre Erzählung, d.h. sie zeigt uns, was sie in sich aufgenommen hat, was sie in sich trägt. Die Sprache spricht über das Sein, wir aber gebrauchen die Sprache (die Erzählung der Sprache), wir verwenden die Erzählung der Sprache, um unsere eigene Erzählung über uns zu geben. Anders ausgedrückt, wir sprechen nicht mit der Sprache (der Erzählung), sondern die Sprache spricht in uns, die Sprache spricht durch uns. Die Sprache kann sich nur verwirklichen, indem sie durch den sprechenden Menschen (die Erzählung der Sprache) hindurch spricht.

"Der Mensch ist nicht nur ein Lebewesen, das... eine Sprache besitzt. Die Sprache ist das Haus des Seins, in dem der Mensch lebt, weil er, die Wahrheit des Seins bewahrend, zu ihr gehört."

Das Lehren von der Hermeneutik des Seins
Heidegger begann als Phänomenologe, weshalb in seiner Philosophie erneut die Ideen seines Lehrers Gestalt annehmen. Heidegger verwendet das Konzept der Intersubjektivität, das im Begriff der “Intentionalität“ Ausdruck findet. Die Sprache als Rede vom Sein ist die primäre Schicht, die den Menschen in das Sein einführt. Nach Heidegger ist die Sprache nicht eine Funktion des Menschen, nicht eine Eigenschaft des Seins, sondern ein Ereignis (Subjekt) des Seins. Heidegger stellt den Begriff des “Ereignisses“ dem traditionellen philosophischen Begriff des “Subjekts“ gegenüber: Das “Ereignis“ wird verstanden als ein Mitsein, ein gleichzeitiges Sein — von Sprache und Mensch in der Zeit. Das Ereignis ist die zeitliche Vollendung der Sprache, die Verwirklichung der Sprache durch den Menschen. In diesem besteht die Sprachlichkeit des Seins. Der Mensch erschafft nicht jedes Mal ein Wort, wenn er spricht: Das Wort ist ein Bote des Seins-in-der-Zeit, durch das Wort lauscht der Mensch dem Sein.

Im antiken griechischen Mythos und der frühen Philosophie war der “Bote“ stets Hermes, der Sohn von Zeus und Maia, der als der redegewandteste Gott galt und stets einen Ausweg aus jeder Situation fand — Eigenschaften, die ihn zum Gesandten und Boten der Götter machten. Als Gesandter überbrachte Hermes den Menschen den Willen der Götter, und als Bote brachte er den Göttern Nachrichten aus der Welt der Menschen. Ebenso ist die Sprache nach Heidegger hermeneutisch. Die Sprache bringt eine Botschaft vom Sein selbst, die Sprache spricht “in der Sprache“ des Seins, folglich ist auch das Sein hermeneutisch. Doch das Sein ist nicht jedem zugänglich, da, wie zu Beginn der Erzählung über Heidegger gesagt wurde, nicht jeder über das Sein, den Sinn des menschlichen Daseins und die Wahrheit des Seins nachdenkt. Das Sein ist nur für die Dichter zugänglich. Der Dichter sieht sich nicht als Schöpfer, sondern, indem er dem Sein lauscht, spricht er im Namen des Seins.

Die Sprache ist die Sprache des Seins, genauso wie die Wolken die Wolken des Himmels sind. Die Sprache fördert das Verständnis des Menschen von seinem eigenen Sein. Das Verstehen enthält die Möglichkeit der Interpretation, doch interpretiert wird nicht der Text, nicht die Sprache, sondern das Sein-in-der-Welt des Menschen. Der konstituierende Moment des Seins-in-der-Welt ist das Sprechen.

Heidegger versteht das Sprechen als die Sprache in ihrer Verwirklichung, als lebendiges Sprechen, das neben den Elementen der natürlichen Sprache — dem Wortschatz und der Grammatik — auch Intonation und Stille umfasst. Um sich selbst, sein Sein, das nur die Wahrheit des Seins sein kann, zu verstehen, muss man der Sprache, dem Sprechen lauschen.

Wiederum in Anschluss an Husserl unterscheidet Heidegger das Phänomen und das Phänomen des Schweigens und stellt die Frage nach der Dialektik von Schweigen (Phänomen) und Stummheit (Ereignis). Nur im wirklichen Sprechen kann es ein Schweigen geben, das sich in einer sinnvollen Pause äußert. Wer nicht vom Sein sprechen kann, der kann auch nicht schweigen. Wer schweigt, kann mehr sagen als der, der viel spricht. Das Schweigen über das Sein als Verständnis des Seins ist nur der Prolog zum Gespräch. Das Vielsprechen kann dagegen eine trügerische Klarheit vermitteln, meint Heidegger — ein Gedanke, der sich in Sprichwörtern und Redensarten widerspiegelt, wie etwa “Kürze ist die Schwester des Talents“.

Die Sprache, da sie die Wahrheit des Seins offenbart, ist die Voraussetzung für das Verstehen. Aus der Sprache schöpft der Mensch das vorläufige Verständnis des Seins, von sich selbst. Die Sprache beschreibt daher den Kreis des Vorverständnisses, d.h. das vorläufige Verstehen der Wahrheit des Seins, eines Seins, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Forderung nach einem Ausweg aus diesem Kreis ist, so Heidegger, mit einem falschen Verständnis des Seins verbunden, mit der Interpretation des Seins als Seiendem. Das Sein des Menschen, der Sprache, der Welt insgesamt, ist ein Ereignis (Mit-Sein). Es handelt sich nicht um isolierte Welten-Substanzen. Es sind Horizonte, an deren Schnittpunkt im jeweiligen Moment das Licht des Seins als Wahrheit erscheint. Das Sein des Menschen als Wahrheit ist ein “vierfaches“ * , eine Öffnung zu allen Himmelsrichtungen. Das Sein des Menschen als Wahrheit ist das “Hier-Sein“.

  1. “die Art und Weise, wie der Mensch als Mensch sich selbst ist, wobei er sich selbst erkennt;
  2. die Projektion des Seienden auf das Sein;
  3. die Begrenzung des Wesens der Wahrheit des Seienden;
  4. das, woher der Mensch jedes Mal die “Maßnahme“ für die Wahrheit des Seienden nimmt und wie er sie festlegt.“