Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024
Der Mensch, die Gesellschaft und der Staat bei Platon
Antike Philosophie
Geschichte der westlichen Philosophie
Das Problem von Seele und Körper
Bei Platon bleibt wie bei seinem Lehrer Sokrates das zentrale Thema die moralisch-ethische Frage, wobei der Mensch, die Gesellschaft und der Staat die wichtigsten Gegenstände seiner Untersuchung sind. Platon teilt den rationalistischen Ansatz seines Lehrers in Bezug auf ethische Probleme: Auch für ihn ist wahres Wissen die Voraussetzung für moralisches Handeln. Deshalb setzt Platon die Arbeit seines Lehrers fort, indem er durch die Untersuchung von Begriffen den Subjektivismus der Erkenntnistheorie der Sophisten überwinden und zu einem wahrhaft objektiven Wissen gelangen möchte, das für alle gültig ist. Diese Arbeit mit Begriffen, die Bestimmung von Gattungs- und Artbeziehungen zwischen ihnen, die von Platon und seinen Schülern durchgeführt wurde, erhielt den Namen Dialektik (griech. dialektiké — reden, sich unterhalten).
Das Wissen über das wahre Sein, das heißt über das, was immer identisch und unveränderlich ist — bei Platon die Welt der Ideen, die Urbilder der Dinge der sinnlichen Welt — soll nach dem Plan des Philosophen eine solide Grundlage für die Schaffung einer Ethik bieten. Diese Ethik wird von Platon als die Voraussetzung für die Möglichkeit einer gerechten Gesellschaft verstanden, in der die Menschen tugendhaft und daher — wie wir uns bei Sokrates erinnern — glücklich sein sollen.
Platonische Ethik
Platons ethische Lehre setzt eine bestimmte Auffassung vom Wesen des Menschen voraus. Ähnlich wie er alles Seiende in zwei ungleiche Sphären unterteilt — die ewigen und selbständigen Ideen einerseits und die vergänglichen, fließenden und unselbständigen Dinge der sinnlichen Welt andererseits — unterscheidet er auch im Menschen zwischen der unsterblichen Seele und dem sterblichen, vergänglichen Körper. Die Seele, so Platon, ist wie die Idee eins und unteilbar, während der Körper, da er Materie enthält, teilbar ist und aus verschiedenen Teilen besteht. Das Wesen der Seele liegt nicht nur in ihrer Einheit, sondern auch in ihrer Selbstbewegung. Alles, was sich selbst bewegt, ist nach Platon unsterblich, während alles, was durch etwas anderes bewegt wird, endlich und sterblich ist.
Aber wenn die Seele einheitlich und unteilbar ist, wenn sie ein selbstständiges und immaterielles Wesen ist, warum braucht sie dann den Körper? Für Platon besteht die menschliche Seele gewissermaßen aus zwei “Teilen“: dem höheren, vernünftigen Teil, durch den der Mensch die ewige Welt der Ideen erkennt und der nach dem Guten strebt, und dem niedrigeren, sinnlichen Teil. Platon vergleicht die vernünftige Seele mit einem Wagenlenker und die sinnliche mit zwei Pferden, von denen eines edel und das andere niedrig, grob und träge ist. Hier wird das körperliche Prinzip nicht nur als das Niedrigere im Vergleich zum Geistigen betrachtet, sondern auch als an sich negativ und schlecht.
Platon ist ein Anhänger der Seelenwanderungstheorie; nach dem Tod des Körpers trennt sich die Seele von ihm und kehrt, je nachdem, wie tugendhaft und gerecht sie im irdischen Leben war, in einen anderen Körper (entweder menschlich oder tierisch) zurück. Nur die vollkommensten Seelen verlassen nach Platon die irdische, unvollkommene Welt und verbleiben im Reich der Ideen. Der Körper wird somit als Gefängnis der Seele angesehen, aus dem diese sich befreien und sich durch Reinigung von ihren sinnlichen Neigungen dem höheren Streben nach dem Guten unterwerfen muss. Dies wird durch die Erkenntnis der Ideen erreicht, die die vernünftige Seele schaut.
Mit der Lehre von der Vorexistenz der Seelen ist auch Platons Vorstellung von Erkenntnis als Erinnerung verbunden. Noch bevor die Seele in den Körper verkörpert wurde, lebte sie in der über-sinnlichen Welt und konnte die Ideen in ihrer ganzen Vollkommenheit und Schönheit erkennen. Deshalb sind für sie die sinnlichen Erscheinungen nur ein Anlass, hinter ihnen die wahre Essenz zu erblicken — die Ideen, die die Seele sozusagen vage erinnert. Die Lehre von der Erinnerung hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Erkenntnistheorie nicht nur in der Antike, sondern auch im Mittelalter und in der Neuzeit.
Platons Staatslehre
Die Lehre vom Menschen und der Seele ist eng mit Platons Theorie des Staates verbunden. Die Anthropologie und Ethik des griechischen Philosophen, ebenso wie seine Ontologie, zielen auf die Schaffung einer vollkommene menschlichen Gesellschaft ab, und da das Leben der griechischen Gemeinschaften in den Poleis — Stadtstaaten — stattfand, auf die Schaffung eines idealen Staates. Platons Ethik zielt nicht auf die Bildung des vollkommenen Individuums ab, sondern vielmehr auf die Bildung der vollkommenen Menschheit und einer vollkommenen Gesellschaft. Sie ist nicht individuell ausgerichtet, wie zum Beispiel bei den Stoikern oder Epikureern, sondern sozial, und deshalb untrennbar mit der politischen Theorie Platons verbunden.
Platon teilt die Menschen in drei verschiedene Typen ein, je nachdem, welcher Teil der Seele bei ihnen vorherrscht: der vernünftige, der affektive (emotionale) oder der begehrende (sinnliche). Wenn der vernünftige Teil dominiert, handelt es sich um Menschen, die bestrebt sind, die Schönheit und Ordnung der Ideen zu betrachten und nach dem höchsten Gut zu streben. Sie sind der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Mäßigung in allem, was mit sinnlichen Genüssen zu tun hat, verpflichtet. Platon bezeichnet diese Menschen als Weisen oder Philosophen und sieht sie in seiner idealen Staatsordnung als Herrscher. Wenn jedoch der affektive Teil der Seele überwiegt, zeichnet sich der Mensch durch edle Leidenschaften aus — Tapferkeit, Mut und die Fähigkeit, das Verlangen der Pflicht zu unterzuordnen. Diese Eigenschaften sind notwendig für die Krieger oder “Wächter“, die sich um die Sicherheit des Staates kümmern. Schließlich sollen die Menschen des “begehrenden“ Typs körperlicher Arbeit nachgehen, da sie von vornherein dem körperlich-physischen Bereich angehören: dies ist die Klasse der Bauern und Handwerker, die für die materielle Seite des Staatslebens sorgen.
Es gibt jedoch eine Tugend, die für alle Stände gemeinsam ist und die Platon sehr hoch schätzt — das Maß. Nichts im Übermaß — so lautet das Prinzip, das Platon mit den meisten griechischen Philosophen teilt. Sokrates rief seine Anhänger zur Maßhaltung auf, und Mäßigung als Tugend des Weisen wurde von Aristoteles, den Stoikern und den Epikureern geachtet.
Nach Platon ist der gerechte und vollkommene Staat das Höchste, was auf Erden existieren kann. Daher lebt der Mensch für den Staat, nicht der Staat für den Menschen. In seiner Lehre vom idealen Staat finden wir eine klare Betonung des allgemeinen über das individuelle Wohl.
Die Gefahr, eine solche Herangehensweise zu absolutieren, erkannte bereits Aristoteles. Als ein großer Realist verstand er gut, dass es unter den irdischen Bedingungen kaum möglich ist, einen idealen Staat zu schaffen, aufgrund der Schwächen und Unvollkommenheiten des menschlichen Geschlechts. Deshalb mündet in der realen Welt das Prinzip der strikten Unterordnung des Einzelnen unter das Allgemeine oft in die schlimmste Tyrannei, was die Griechen selbst in zahlreichen Beispielen aus ihrer eigenen Geschichte beobachten konnten.