Gegenstand der Rechtsphilosophie - Rechtliches Bewusstsein und Rechtsphilosophie - Formen der wertebezogenen Erschließung des Seins

Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024

Gegenstand der Rechtsphilosophie

Rechtliches Bewusstsein und Rechtsphilosophie

Formen der wertebezogenen Erschließung des Seins

Aus der vorangegangenen Analyse der verschiedenen Typen des Rechtsverständnisses und der entsprechenden Auffassungen folgt, dass gemäß dem libertär-juridischen Ansatz der Gegenstand der Rechtsphilosophie das Recht (als Wesenheit) und das Gesetz (als öffentlich-wirtschaftliches, offiziell-verpflichtendes Phänomen) in ihrer Differenzierung und Beziehung zueinander (Übereinstimmung oder Widerspruch) sind.

Es wird auch deutlich, dass jede Rechtsauffassung (und dementsprechend jede Konzeption der Rechtsphilosophie) zugleich (begrifflich zusammengefasst oder textlich entfaltet) auch eine entsprechende Auffassung des Staates (und die entsprechende Philosophie des Staates) beinhaltet. Daher ist überall dort, wo der Begriff der Rechtsphilosophie in kürzester Form verwendet wird, auch die entsprechende Philosophie des Staates gemeint.

Der Gegenstandsbereich der Rechtsphilosophie (der Philosophie des Rechts und des Staates) umfasst gemäß der libertär-juridischen Konzeption das Konzept des Rechts und das damit verbundene rechtliche Verständnis des Staates. In dieser Definition wird vorausgesetzt, dass im Konzept des Rechts (und im entsprechenden rechtlichen Konzept des Staates) — im Rahmen der Unterscheidung und Beziehung des Wesens von Recht und Staat (dem Prinzip der formalen Gleichheit) sowie der entsprechenden normativ-regulierenden (allgemeinverbindlichen Gesetzen) und institutionell-gewaltigen (öffentlichen Macht) Phänomene — die angestrebte Einheit der rechtlichen Wesenheit und der entsprechenden Phänomene erreicht und zum Ausdruck gebracht wird. In diesem Sinne kann man sagen, dass der Gegenstand der Rechtsphilosophie und des Staates das Recht und den Rechtsstaat umfasst.

Das libertär-juridische Verständnis des Wesens des Rechts als formaler Gleichheit (im Sinne der Dreieinigkeit von universeller gleicher Maßregel, Freiheit und Gerechtigkeit) bildet die Grundlage für eine präzisierte Formulierung der oben genannten Definitionen des Gegenstands der Rechtsphilosophie wie folgt: Der Gegenstand der Rechtsphilosophie ist die formale Gleichheit und ihre Erscheinungsformen. Da jede Gleichheit im sozialen Bereich eben (und nur!) formale Gleichheit ist, kann diese Definition auch kürzer formuliert werden: Der Gegenstand der Rechtsphilosophie ist das Prinzip der Gleichheit und seine Manifestationen.

Die Formen der äußeren Erscheinung und praktischen Verwirklichung der formalen Gleichheit in der empirischen Realität sind alle realen rechtlichen Phänomene von normativ-regulierendem, institutionell-gewaltigem und verhaltensbezogenem Charakter, die lediglich verschiedene Formen des äußeren Ausdrucks und der Konkretisierung einer einheitlichen rechtlichen Wesenheit, eines gemeinsamen rechtlichen Prinzips der formalen Gleichheit darstellen.

Zu den rechtlichen Phänomenen gehören somit alle realen Phänomene (offiziell festgelegte Gesetze, tatsächlich bestehende allgemeine, öffentliche, offizielle Macht, Verhaltensakte verschiedener Akteure des sozialen Lebens, deren Interaktionen usw.), die dem Prinzip der formalen Gleichheit entsprechen und verschiedene Formen des äußeren Ausdrucks und der Verwirklichung dieses Prinzips darstellen. All diese Phänomene gehören nicht als empirische Objekte zum Gegenstand der Rechtsphilosophie, sondern nur als rechtliche Phänomene, als konkretisierte Formen des Ausdrucks formaler Gleichheit, das heißt nur in ihren rechtlichen Dimensionen und Eigenschaften, in den rechtlichen (durch ihre Wesenheit und Charakter) Formen von Gesetz, Macht, Verhalten, Beziehungen, Vereinigungen usw.

Die Offenlegung und Darstellung des Gegenstands der Rechtsphilosophie umfasst auch eine kritische Analyse der entsprechenden Antipoden des Rechts und des Staates, der verschiedenen vergangenen und gegenwärtigen theoretischen und praktischen Formen der Leugnung, Ignorierung oder Verzerrung des Sinns, der Spezifik und des Wertes von Recht und Staat als Wesenheit und als Phänomen, ihrer Ersetzung durch Gewalt und Willkür, durch despotische (anti-rechtliche) Formen der Machtorganisation und deren willkürliche, befehlende Regeln.

Die oben genannten kurzen Definitionen des Gegenstands der Rechtsphilosophie aus libertär-juridischer Sicht enthalten nur die wichtigsten und wesentlichen Merkmale dieses Gegenstands, dessen vollständige Beleuchtung in der gesamten Konzeption erfolgt, die eine systematische Betrachtung und Darstellung dieses Themas darstellt.

Das aus libertär-juridischer Perspektive formulierte Verständnis des Gegenstands der Rechtsphilosophie hat auch allgemeine Bedeutung im Hinblick auf die Ermittlung, Klärung und Bestimmung des gemeinsamen erkenntnistheoretischen und sinnhaften Moments, das für verschiedene Lehren vom Recht und deren philosophisch-rechtlichen Charakter und Profil maßgeblich ist. Dieses gemeinsame Moment, das eine Gegenstand bildende Bedeutung für die gesamte Rechtsphilosophie (für alle ihre Konzepte, Richtungen, Versionen und Varianten) hat, ist das Verständnis des Rechts insgesamt als Wesenheit und als Phänomen, das heißt die theoretische Unterscheidung und Beziehung zwischen einer besonderen rechtlichen Wesenheit objektiven Charakters (das Wesen des Rechts, unabhängig vom Willen des Gesetzgebers) und einem offiziell verpflichtenden Phänomen (Gesetz), das vom subjektiven Faktor abhängig ist (vom Willen und der Meinung des Gesetzgebers, von den Erwägungen oder der Willkür der offiziellen Macht usw.).

Die Rechtsphilosophie unterscheidet sich von anderen Auslegungen des Rechts gerade durch ein bestimmtes materielles Kriterium und nicht, wie es oft der Fall ist, durch den Titel einer bestimmten Arbeit, die Absichten ihres Autors oder die disziplinäre Zugehörigkeit des Autors usw. Offensichtlich ist nicht alles, was ein Vertreter der Philosophie über das Recht oder ein Vertreter der Rechtswissenschaft über die philosophische Bedeutung des Rechts sagt, automatisch Rechtsphilosophie. Für eine philosophisch-rechtliche Konzeption ist es mindestens notwendig, dass erstens neben dem Gesetz (positivem Recht) ein bestimmtes objektives rechtliches Prinzip (Wesen, Prinzip, Idee des Rechts) anerkannt wird, und zweitens, dass diese Anerkennung als bestimmtes Konzept des Rechts formuliert und als eine innerlich konsistente und widerspruchsfreie theoretische Konzeption ausgedrückt wird, die die gesamte Welt des Rechts (das Recht in der Welt und die Welt im Recht) und des Unrechts umfasst und erklärt.

Aus der Perspektive des libertär-juristischen Verständnisses des Rechts und des entsprechenden Begriffs des Gegenstandes der Rechtsphilosophie lässt sich feststellen, dass die gesamte vorangegangene (bis zur libertär-juristischen Konzeption) Rechtsphilosophie im Wesentlichen eine Philosophie des Naturrechts (oder eine naturrechtliche Rechtsphilosophie) darstellt, deren Gegenstand das natürliche und das positive Recht in ihrer Unterscheidung und ihrem Verhältnis zueinander ist. Trotz der Fülle, Vielfalt und Unterschiede dieser (nicht-liberalen) philosophisch-rechtlichen Lehren wird der “nicht-positivistische“ Moment im Recht (der Sinn, die Essenz, die Idee, der Begriff des Rechts, das heißt das, was ursprünglich nicht Gesetz oder positives Recht ist) mehr oder weniger auf das Naturrecht zurückgeführt, mit den entsprechenden Folgen für den Jurisnaturismus — etwa der Vermischung von Recht mit Moral, Ethik oder Religion, der Verquickung von formellem mit faktischem Recht, dem Dualismus der Rechtssysteme — naturrechtlich und positivistisch, und so weiter. Anders gesagt, in all diesen philosophisch-rechtlichen Konzepten fehlt es sowohl an einem hinreichend formalisierten Prinzip des Rechts (dem spezifischen Kriterium, das das Recht von allem Nicht-Rechtlichen unterscheidet) als auch an einem insgesamt formalisierten Begriff des Rechts.

Trotz ihrer begrifflichen und rechtlichen Unbestimmtheit gehören die Konzepte des naturrechtlichen Verständnisses des Rechts zur Gegenstandsphäre der Rechtsphilosophie, da in diesen Konzepten (wenn auch ohne angemessene Formalisierung) ein gewisses objektives rechtliches Prinzip jenseits des Gesetzes und unabhängig vom Gesetzgeber (der offiziellen rechtsetzenden Gewalt) anerkannt wird.

Einen solchen Gegenstand bestimmenden Moment philosophisch-rechtlichen Charakters und Profils finden wir in den Lehren der Legisten (Positivisten) nicht nur nicht, sondern es kann auch gar nicht vorhanden sein, da das unterscheidende Merkmal dieser Lehren gerade in der radikalen Ablehnung jedes objektiven rechtlichen Prinzips (des Naturrechts, der Idee des Rechts, der Essenz des Rechts und so weiter) außerhalb des Gesetzes (des positiven Rechts) besteht. Eine solche grundlegende und konsequente Reduktion (Identifikation) des Rechts allein auf das offiziell-gewaltige Phänomen (das Gesetz) lässt überhaupt keinen Raum (keine Bedeutungsdimension) für den Gegenstand der Rechtsphilosophie.

Das Höchste, was einige Positivisten (wie H. Hugo, J. Austin, G. F. Scherschenewitsch, O. Weinberger und andere) zulassen, ist die Philosophie des positiven Rechts im Sinne der positivistischen allgemeinen Rechtstheorie, die als positivistische Begründung des positiven Rechts und der entsprechenden Rechtsphilosophie verstanden wird. Die Rechtsphilosophie im eigentlichen Sinne (mit der Anerkennung eines objektiven rechtlichen Prinzips außerhalb des Gesetzes und unabhängig vom Gesetzgeber und so weiter) lehnen die Positivisten als falsche (“metaphysische“) Lehre von vermeintlichen und unreellen (nicht-positiven) Objekten ab.

Es ist jedoch anzumerken, dass gerade der Vertreter des Positivismus, der bekannte deutsche Jurist H. Hugo, Ende des 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit einer “Rechtsphilosophie“ begründete, wobei er unter “Rechtsphilosophie“ die “Philosophie des positiven Rechts“ als einen Teilbereich (neben der Rechtsgeschichte und der Rechtsdogmatik) der Rechtswissenschaft verstand. Ein Vierteljahrhundert später untermauerte Hegel in seiner Arbeit “Das Naturrecht und die Wissenschaft des Staates. Grundlinien der Philosophie des Rechts“, die in ihrer verbreiteten, verkürzten Bezeichnung “Philosophie des Rechts“ ihren naturrechtlichen Charakter verschweigt, seine Konzept der Rechtsphilosophie (im Wesentlichen eine Philosophie des Naturrechts in seiner hegelschen Auslegung) als Teil der Philosophie und übte scharfe Kritik an Hugos Lehre sowie an der Rechtswissenschaft im Allgemeinen. Diese Kritik war in vieler Hinsicht einseitig, doktrinär übertrieben und situativ zugespitzt, insbesondere in Bezug auf die Rechtswissenschaft, die entgegen Hegels Behauptung nie (auch nicht zu Hegels Zeiten) nur auf den Positivismus (“positive Lehre vom Recht“) reduziert wurde, sondern neben ihm auch verschiedene naturrechtliche Lehren einschloss, ohne deren Errungenschaften die Hegelsche Philosophie des Naturrechts nicht möglich gewesen wäre.

Im Zusammenhang mit dem fortdauernden “Fakultätenstreit“ über das disziplinäre Profil der Rechtsphilosophie ist es notwendig, das Fehlen prinzipieller Hindernisse für die Entwicklung verschiedener Konzepte der Rechtsphilosophie als eigenständige wissenschaftliche und akademische Disziplin innerhalb sowohl der Philosophie als auch der Rechtswissenschaft zu betonen. Leider hat sich jedoch faktisch herausgestellt, dass seit Hegel (und bis heute) die Rechtsphilosophie und die Staatsphilosophie als wissenschaftliche und akademische Disziplin vor allem von Juristen betrieben werden; Vertreter der Philosophie hingegen beschäftigen sich mit philosophisch-rechtlichen Themen hauptsächlich im Rahmen der Geschichte der Rechtsphilosophie. Bemerkenswert ist, dass an unseren philosophischen Fakultäten überhaupt keine Disziplin wie die Rechtsphilosophie gelehrt wird und es kein modernes Lehrbuch (geschweige denn eine eigenständige philosophisch-rechtliche Theorie) zur Rechtsphilosophie gibt, das von einem Fachphilosophen verfasst wurde.