Die ethischen Lehren der Stoiker und Epikureer - Antike Philosophie - Geschichte der westlichen Philosophie

Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024

Die ethischen Lehren der Stoiker und Epikureer

Antike Philosophie

Geschichte der westlichen Philosophie

Die Ethik der Stoiker

Während in früheren ethischen Lehren das Hauptmittel zur moralischen Vervollkommnung des Individuums in seiner Eingliederung in das gesellschaftliche Ganze gesehen wurde, betrachten die Philosophen nun, insbesondere die Stoiker und Epikureer, als Bedingung für ein tugendhaftes und glückliches Leben die Befreiung des Menschen von der Macht der äußeren Welt, insbesondere der politischen und sozialen Sphäre. Diese Haltung findet sich besonders bei der stoischen Schule, die von Zenon von Kition (um 333—um 262 v. Chr.), Panaitios von Rhodos (2. Jh. v. Chr.), Posidonius (Ende des 2. Jh. v. Chr. — 1. Jh. v. Chr.) und anderen vertreten wurde. Eine große Popularität erlangte die stoische Schule im antiken Rom, wo ihre bekanntesten Vertreter Seneca (um 4 v. Chr. — 65 n. Chr.), sein Schüler Epiktet (um 50 — um 140) und der Kaiser Mark Aurel (121—180) waren.

Für die Stoiker ist Philosophie nicht nur eine Wissenschaft, sondern vor allem ein Lebensweg, eine Lebensweisheit. Nur die Philosophie kann den Menschen lehren, Selbstbeherrschung und Würde in schwierigen Situationen zu bewahren — eine Weisheit, die in der Zeit des Hellenismus und besonders im spätromischen Reich notwendig wurde, wo die moralische Verwesung der ersten Jahrhunderte unserer Ära ihren Höhepunkt erreicht hatte. Seneca, der Zeitgenosse des berüchtigten Kaisers Nero, eines der verderbtesten und blutigsten römischen Herrscher, stand exemplarisch für diese Philosophie.

Die Stoiker betrachten die Freiheit von der Macht der äußeren Welt über den Menschen als das höchste Gut des Weisen; seine Stärke liegt darin, dass er nicht ein Sklave seiner eigenen Leidenschaften ist. Der Weise strebt nicht nach sinnlichen Vergnügungen. Ein echter Weiser, so die Stoiker, fürchtet nicht einmal den Tod; von den Stoikern stammt das Verständnis der Philosophie als Wissenschaft des Sterbens. In dieser Hinsicht waren die Stoiker von Sokrates inspiriert. Doch ihre Gemeinsamkeit mit Sokrates besteht lediglich darin, dass sie ihre Ethik auf Wissen aufbauen. Im Gegensatz zu Sokrates suchen sie jedoch die Tugend nicht um des Glücks willen, sondern um der Ruhe und Gelassenheit willen, der Gleichgültigkeit gegenüber allem Äußeren. Diese Gleichgültigkeit bezeichnen sie als “Apathie“ (Seelenruhe). Apathie ist das ethische Ideal der Stoiker. Ihre Stimmung ist pessimistisch, was treffend von Alexander Puschkin formuliert wurde: “Es gibt kein Glück auf der Welt, aber es gibt Ruhe und Freiheit.“

Inneren Frieden und Apathie zu erreichen bedeutet, sich selbst vollständig zu beherrschen, seine Handlungen nicht durch äußere Umstände, sondern nur durch den Verstand zu bestimmen. Die Anforderungen des Verstandes sind unaufhebbar, da sie mit der Natur übereinstimmen. Mit “Natur“ verstehen die Stoiker sowohl die äußere Natur als auch die Natur des Menschen selbst. Für sie ist die Natur Schicksal oder Fügung: Sich mit dem Schicksal zu versöhnen und ihm nicht zu widerstehen — dies ist eines der Gebote Senecas.

Die Ethik des Epikur

Ein vollständiger Verzicht auf sozialen Aktivismus in der Ethik begegnet uns beim Materialisten Epikur (341—270 v. Chr.), dessen Lehre sowohl im antiken Griechenland als auch im Römischen Reich große Popularität erlangte. Der bekannteste römische Epikureer war Lukrez (um 99—55 v. Chr.).

Epikurs Ethik stellt den Einzelnen und nicht das gesellschaftliche Ganze in den Mittelpunkt. Damit überdenkt Epikur die aristotelische Definition des Menschen. Der Einzelne ist primär; alle gesellschaftlichen Verbindungen und menschlichen Beziehungen hängen von den subjektiven Wünschen und rationalen Überlegungen der einzelnen Personen ab, die ihrem eigenen Nutzen und Vergnügen folgen. Der gesellschaftliche Bund ist, so Epikur, nicht das höchste Ziel, sondern lediglich ein Mittel zum Wohl des Individuums. In diesem Punkt steht Epikur den Sophisten nahe. Diese individualistische Auffassung vom Menschen entspricht auch Epikurs atomistischer Naturphilosophie: Das wahre Sein besteht aus isolierten Atomen, während das, was daraus entsteht — die Dinge und Phänomene der sichtbaren Welt, der gesamte Kosmos — lediglich sekundäre Gebilde, Ansammlungen von Atomen sind.

Im Gegensatz zur stoischen Ethik ist die epikureische Ethik hedonistisch (vom griechischen “hēdonē“, Vergnügen): Das Ziel des menschlichen Lebens ist für Epikur das Glück, verstanden als Vergnügen. Doch das wahre Vergnügen sieht Epikur nicht in der ungehemmten Hingabe an grobe sinnliche Genüsse. Wie die meisten griechischen Philosophen hält auch Epikur an dem Ideal der Mäßigung fest. Daher ist die weit verbreitete Vorstellung, die Epikureer würden sich ausschließlich den sinnlichen Vergnügungen hingeben und diese über alles andere stellen, falsch. Höchstes Vergnügen, so Epikur, wie auch die Stoiker, ist die Seelenruhe (Ataraxie), der innere Frieden und die Gelassenheit. Dieser Zustand kann jedoch nur erreicht werden, wenn der Mensch lernt, seine Leidenschaften und körperlichen Begierden zu mäßigen und sie dem Verstand unterzuordnen. Besonders viel Aufmerksamkeit widmen die Epikureer der Bekämpfung von Aberglauben, einschließlich der traditionellen griechischen Religion, die nach Epikur den Menschen ihre Seelenruhe raubt, indem sie Furcht vor dem Tod und dem Jenseits schürt. Um diese Angst zu zerstreuen, beweist Epikur, dass die Seele des Menschen mit dem Körper stirbt, da sie ebenso wie der Körper aus Atomen besteht. Der Tod ist nicht zu fürchten, so der griechische Materialist, denn solange wir leben, ist der Tod noch nicht da, und wenn der Tod kommt, sind wir bereits nicht mehr. Daher existiert der Tod weder für die Lebenden noch für die Toten.

Trotz der bekannten Ähnlichkeiten zwischen der stoischen und der epikureischen Ethik gibt es wesentliche Unterschiede zwischen ihnen: Das Ideal der Stoiker ist strenger, sie halten an einem altruistischen Prinzip der Pflicht und der Furchtlosigkeit gegenüber den Schlägen des Schicksals fest; das Ideal des epikureischen Weisen ist weniger moralisch als ästhetisch und basiert auf dem Vergnügen an sich selbst. Epikureismus ist ein aufgeklärter, verfeinerter und erleuchteter, aber dennoch egoistischer Ansatz.