Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024
Der Kerninhalt und die Funktionen der Philosophie
Einführung: Was ist Philosophie?
Eine prägnante und treffende Formulierung des deutschen klassischen Philosophen Immanuel Kant kann uns eine erste Vorstellung von den Themen geben, die im Titel angesprochen sind. Seiner Meinung nach muss die Philosophie dem Menschen Antwort auf die folgenden Fragen geben: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Worauf darf ich hoffen? Was ist der Mensch, und worin liegen Sinn und Zweck seines Daseins? Dieser Katalog umreißt klar das zentrale Problemfeld der Philosophie, bedarf jedoch einer wesentlichen Ergänzung und Präzisierung. Tatsächlich lässt Kant eine der fundamentalsten Fragen der Philosophie, die stets in ihrem Zentrum stand, vollständig außer Acht: die Frage nach den grundlegenden Prinzipien des universalen Seins, dem Fundament, auf dem sowohl das menschliche Erkennen als auch seine gesamte Lebenspraxis beruhen.
Dass Kant dieses Problem umging, ist eine direkte Konsequenz der Grundhaltung seiner Lehre. Der große Denker nahm an, dass der Mensch prinzipiell nicht über die Grenzen seines Erkennens und Denkens hinausgelangen könne, da alles, was dem Menschen begegnet, durch das Bewusstsein und Denken erfasst und gefiltert wird und so stets eine Spur des menschlichen Verstandes trägt. Daher erkennen wir die Welt nicht, wie sie an sich ist, sondern nur so, wie sie uns in unseren Vorstellungen erscheint. Der Mensch hat keine Mittel, um diesen vermittelnden Einfluss seines Bewusstseins zu umgehen, keine Wege, um in unmittelbaren Kontakt mit einer Welt der Dinge zu treten, die unabhängig vom Bewusstsein existiert und so ist, wie sie an sich ist. Diese Annahme und Schlussfolgerung sind jedoch umstritten und werden sowohl von Kants philosophischen Vorläufern als auch vom Großteil der späteren Philosophiegeschichte zurückgewiesen.
Tatsächlich hat der Mensch die Möglichkeit, die Grenzen seines Bewusstseins und Denkens zu überschreiten. Diese Möglichkeit liegt in der schöpferischen und verändernden Tätigkeit des Menschen und den Produkten dieser Tätigkeit, die er hervorgebracht hat. Auf Grundlage seiner Vorstellungen von der Welt erschafft der Mensch reale materielle Gegenstände, die nicht nur in seinem Bewusstsein und seiner Vorstellung existieren, sondern Teil der objektiven Welt der Dinge und Prozesse werden, die unabhängig vom Bewusstsein besteht. So stützt sich der Mensch beim Bau eines Fernsehgerätes auf sein Wissen über elektrische Eigenschaften, elektromagnetische Wellen und Strahlung, die Wahrnehmungsfähigkeiten des menschlichen Sehens und Hörens sowie die Eigenschaften der Materialien, aus denen alle Bauteile dieses komplexen Gerätes gefertigt werden. Dieses Gerät erfüllt seine Funktion — es überträgt Bild und Ton — nur deshalb, weil der Mensch das Wesen dieser physikalischen, chemischen und biologischen Gegebenheiten und Prozesse durchdrungen hat. Es handelt sich hier also nicht nur um ein bloßes Produkt der Vorstellungskraft oder eine rein gedankliche Konstruktion, sondern um einen echten Zugang des Menschen zum Wesen des Seins, so wie es an sich existiert.
Daher sollte zu den vier von Kant genannten Hauptfragen der Philosophie auch die Frage nach den grundlegenden, universalen Eigenschaften des Seins selbst hinzugefügt werden. In welcher Reihenfolge und in welchem Zusammenhang sollten diese Fragen gestellt, theoretisch durchdacht und beantwortet werden, um eine hinreichend umfassende und systematische Darlegung der Philosophie zu erreichen?
Nicht nur Kant selbst, sondern auch viele nachfolgende Philosophengenerationen betrachteten die von ihm vorgeschlagene Reihenfolge als die vernünftigste und natürlichste. In der vor-kantischen Philosophie jedoch stand die Erkenntnistheorie keineswegs im Mittelpunkt des Philosophierens und wurde nicht als dessen zentrale Fragestellung erachtet. Der Ausgangspunkt der Philosophie war vielmehr die Lehre von den universellen Eigenschaften des Seins überhaupt, einschließlich des Eigenwesens menschlichen Daseins. In manchen Denkansätzen wurde die Frage nach dem Menschen und seiner Besonderheit sowie seinem Platz im universalen Sein sogar an die erste Stelle gerückt. Solche Herangehensweisen fanden insbesondere im 20. Jahrhundert Verbreitung, obwohl ihre ausführliche Begründung sich bereits in den Werken zahlreicher Denker des 19. Jahrhunderts findet, wie etwa in denen von S. Kierkegaard, A. Schopenhauer und F. Nietzsche.
Das kreative Streben des philosophischen Denkens zielt in erster Linie darauf ab, das Verhältnis zwischen Mensch und Welt theoretisch zu erfassen, das Eingebettetsein des Menschen in die Welt zu begreifen, um auf dieser Grundlage eine ganzheitliche Weltsicht zu entwickeln, die den Menschen in die Welt integriert, und zugleich den Menschen als Teil des Universums zu betrachten, seine Stellung und Bestimmung in der natürlichen, sozialen und geistigen Welt zu verstehen. Das zentrale Problem liegt dabei darin, dass der Mensch nicht einfach als Teil der Welt wie andere Dinge auftritt, sondern als ein besonderes Sein, das über die Welt der Objekte hinausgeht, eine seelische und geistige Dimension besitzt und sich im Erkennen und Handeln aktiv zur Welt verhält. Im Vergleich zu anderen Formen der Weltanschauung ist diese Fragestellung in der Philosophie theoretisch zugespitzt und bildet das Fundament aller philosophischen Überlegungen über das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Materie, Bewusstsein und Sein, Freiheit und Notwendigkeit usw. Die Akzentuierung bestimmter Aspekte und die Orientierung auf einen bestimmten Pol dieser Problemstellung führte zu den Gegensätzen zwischen Materialismus und Idealismus, religiöser und säkularer Philosophie, Determinismus und der Betonung der Willensfreiheit sowie zu anthropologischen oder kosmologischen Tendenzen und anderen philosophischen Positionen.
Die Orientierung auf die Schaffung eines universalen und ganzheitlichen Systems des Seins und die Rolle des Menschen darin wird in der Philosophie durch das theoretische Erfassen der Inhalte verwirklicht, die in allen anderen Formen lebenspraktischer und geistiger Tätigkeit des Menschen verankert sind: in Wissenschaft, Religion, Kunst, moralischem Bewusstsein, Ideologie usw. Die Inhalte, die die Philosophie aus diesen Formen und Bereichen schöpft, bilden sozusagen ihre Empirie, ihre Erfahrungsgrundlage, und bedingen die Vielzahl der Wege und Mittel, durch die sie ihren Zielen näherkommt.
Entsprechend gliedern sich auch die Strukturen des philosophischen Wissens. Über die lange historische Entwicklung der Philosophie hinweg haben sich in ihr relativ autonome, doch in Wechselwirkung stehende Wissensbereiche herausgebildet: die Lehre vom Sein (Ontologie), die Erkenntnistheorie (Gnoseologie), die Anthropologie, die Sozialphilosophie, Ethik, Ästhetik, Religionsphilosophie, Wissenschaftsphilosophie, Geschichtsphilosophie und andere. Eine besondere und bedeutende Rolle im philosophischen Erkennen der Welt spielen zudem die historisch-philosophischen Untersuchungen.
Mit dem Ziel, ein bestimmtes Verständnis der Eingebundenheit des Menschen in die Welt, seiner Stellung und Bestimmung in ihr zu entwickeln, skizziert die Philosophie gewisse grundlegende Prinzipien des bewussten Weltverhältnisses und eine Werteordnung, die das soziale und persönliche Programm der menschlichen Existenz bestimmen. Sie gibt dieser Existenz ihre inhaltliche Richtung und Zielsetzung. Somit steht die Philosophie nicht lediglich als reine Beschreibung der Welt in ihrer unmittelbaren Erscheinung dem Menschen gegenüber, sondern enthüllt die tieferen Schichten des Seins. Indem sie das Wesen der Welt in seinen grundlegendsten und essentiellsten Eigenschaften beleuchtet, versucht die Philosophie, die Fülle an Möglichkeiten und damit die Verpflichtungen des Menschen in dieser Welt zu erkennen. Auf diese Weise formuliert sie eine theoretische Begründung des menschlichen Handelns in der Welt, die Umsetzung des Erwünschten oder Gebotenen, des idealen Weltgefüges und der Grundzüge menschlichen Lebens.
Diese gesellschaftliche Zielrichtung des philosophischen Wissens und dessen Beitrag zur Zukunft, zur prognostizierten Entwicklung von Gesellschaft und Mensch, tritt nicht immer deutlich zutage in den Lebensprozessen und Phänomenen. Meist bleibt sie verborgen im Inneren anderer geistiger und kultureller Bestrebungen und Aufgaben. Doch betrachtet man die Hauptrichtungen der gesellschaftlichen Entwicklung über einen längeren Zeitraum, so wird diese prognostisch-weltanschauliche soziale Funktion der Philosophie deutlich sichtbar. Heute diskutieren unsere Gesellschaft und die Welt als Ganzes drängende Fragen wie die Essenz und Entwicklung des Bürgergesellschaft, des Rechtsstaats und der Freiheit des Einzelnen. Ein Blick zurück zeigt, dass genau diese Fragen erstmals durch die Philosophie aufgeworfen wurden, vor nahezu drei Jahrhunderten in den Werken bedeutender Denker des 18. Jahrhunderts wie J. J. Rousseau, T. Hobbes und J. Locke.
Die theoretische Begründung des menschlichen Handelns, die Verkündung neuer weltanschaulicher Ideale und Werte, wie sie von der Philosophie formuliert werden, ist stets organisch mit der Moral und anderen Formen wertorientierten Bewusstseins verbunden. Doch anders als das moralische Bewusstsein, in dem Werte als unbedingte Grundlage des Handelns gelten, unterzieht die Philosophie sie einer kritischen Analyse und betrachtet sie als Ausgangsprinzipien des menschlichen Weltverhältnisses. Sie begründet ihre Bedeutung im Kontext des Seins des Universums als Ganzes und erarbeitet ihren Sinn und ihre Tragweite in diesem Licht.
Der Anspruch der Philosophie, die aktiven Bewusstseinsorientierungen im Sinne eines Weltverständnisses zu begründen, das auf einem universalen Modell des Seins basiert, unterscheidet sie von der Ideologie, die stets den Partikularinteressen bestimmter Menschengruppen—sozialer, ethnischer, konfessioneller Art—verpflichtet ist. Zwar ist jedes weltanschauliche Bewusstsein, auch das philosophische, eng mit Ideologie und den Interessen realer Menschengruppen verflochten. Doch liegt der soziale und kulturelle Wert der Philosophie als theoretischer Kern des Weltanschauungsbewusstseins darin, zur Überwindung solcher Beschränktheit beizutragen. Das Streben der Philosophie nach Wahrheit als allgemeinem menschlichem Wert erfüllt sich nicht nur in ihrer unmittelbaren weltanschaulichen Funktion, sondern auch in ihrer methodologischen Rolle innerhalb der gesamten Wissenslandschaft und der gesammelten Kultur der Menschheit. Die Philosophie übernimmt dabei die Aufgabe der Integration, der Synthese des gesamten bestehenden Wissens und der menschlichen Kultur. Sie hilft den einzelnen Fachdisziplinen der Wissenschaft und den Bereichen der Kultur, den Sinn und Inhalt ihrer Aufgaben sowie die Wege und Mittel zu deren Verwirklichung klarer zu erfassen und festzulegen. In der Ausführung dieser methodologischen Funktion trägt die Philosophie zur Bereicherung und Weiterentwicklung sowohl des bestehenden wissenschaftlichen Wissens als auch zur Erreichung neuer kulturell-kreativer Ergebnisse bei.
Die Philosophie, die sich auf die Erfahrung verschiedener Formen der lebenspraktischen, erkenntnismäßigen und wertorientierten Erschließung der Welt stützt und die weltanschaulichen Ideen, die durch das moralische, religiöse, künstlerische, politische und wissenschaftlich-technische Bewusstsein entstehen, in ihren eigenen Begriffen verarbeitet (die als philosophische Kategorien bezeichnet werden), übernimmt eine zentrale Rolle. Sie synthetisiert die verschiedenen Systeme praktischen Wissens, und mit dem Fortschritt der Wissenschaft auch die wachsenden Wissensbestände wissenschaftlicher Erkenntnis. So ist die Philosophie berufen, alle Formen menschlicher Tätigkeit in einer bestimmten historischen Epoche zu integrieren und als Selbstbewusstsein ihrer Zeit zu fungieren. In treffenden Worten Hegels ist die Philosophie “die in Gedanken erfasste Epoche“.
In der heutigen Zeit sind die Aufgaben der Philosophie als das Selbstbewusstsein der Epoche vor allem mit der Entwicklung eines Bewusstseins verbunden, das Verantwortung angesichts der globalen Probleme unserer postindustriellen, technisierten Zivilisationsstufe trägt — Probleme, von deren Lösung das Überleben der Menschheit abhängt. Hierzu zählen etwa die ökologische Krise, die sich vertiefende Kluft zwischen einer kleinen Gruppe hochentwickelter Länder und dem Rest der Welt, der Verlust der Stabilität und Zuverlässigkeit menschlicher Existenz sowie ihrer geistigen Grundlagen und vieles mehr. In diesen Rahmenbedingungen ist die Philosophie aufgerufen, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung eines Konsenses und eines konstruktiven Dialogs zwischen unterschiedlichen spirituell-kulturellen Positionen und ihren Trägern zu leisten. Ein systematischeres Aufgreifen der philosophischen Traditionen östlicher Kulturen könnte hierbei eine bedeutende Rolle spielen, da diese Traditionen den Fokus auf die innere, geistig-moralische Vervollkommnung des Menschen und die Suche nach Harmonie in der Beziehung des Menschen zur Natur legen. Ebenso könnte ein kontinuierliches Interesse an der Entwicklung der eigenen, nationalen philosophischen Gedankenwelt einen wertvollen Beitrag zu diesem Prozess leisten.