Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024
Philosophie der Aufklärung
Entwicklung der westlichen Philosophie im 15. bis 18. Jahrhundert
Geschichte der westlichen Philosophie
Das 18. Jahrhundert wird in der Geschichte des Denkens nicht zufällig als das Zeitalter der Aufklärung bezeichnet: Wissenschaftliches Wissen, das zuvor nur einem engen Kreis von Gelehrten zugänglich war, verbreitet sich nun weit über die Universitäten und Laboratorien hinaus und erreicht die weltlichen Salons von Paris und London, wo es unter Literaten diskutiert wird, die die neuesten wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisse populär darlegen. Das Vertrauen in die Macht des menschlichen Verstandes, in seine unbegrenzten Möglichkeiten und in den Fortschritt der Wissenschaften, die die Bedingungen für ökonomisches und soziales Wohlstand schaffen, ist der leidenschaftliche Ton der Aufklärung.
Diese Denkströmungen wurden bereits im 17. Jahrhundert vorbereitet: F. Bacon, R. Descartes und T. Hobbes waren Vorläufer der Aufklärung. Ihre Kritik an der mittelalterlichen Scholastik, der Ruf nach Vernunft anstelle von Autorität und Tradition, wurde im 18. Jahrhundert fortgesetzt und vertieft, welches sich als Zeitalter der Vernunft und des Lichts, der Wiedergeburt der Freiheit und des Aufblühens von Wissenschaft und Kunst verstand, das nach über tausend Jahren der “Nacht des Mittelalters“ anbrach.
Jedoch gab es auch neue Akzentsetzungen. Erstens wurde im 18. Jahrhundert der Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis sowie deren gesellschaftlicher Nützlichkeit stärker betont. Zweitens richtete sich die Kritik, die in der Renaissance und im 17. Jahrhundert von Philosophen und Wissenschaftlern hauptsächlich gegen die Scholastik gerichtet war, nun gegen die Metaphysik. Den Aufklärern zufolge müsse die Metaphysik, die im 16. und 17. Jahrhundert die mittelalterliche Scholastik ablöste, überwunden werden. Nach Newton in der Wissenschaft und nach Locke in der Philosophie begann eine scharfe Kritik am Cartesischen System als metaphysischer Theorie, die von den Aufklärern beschuldigt wurde, zu stark auf spekulativen Konstruktionen zu basieren und zu wenig auf Erfahrung und Experiment Rücksicht zu nehmen.
Auf dem Banner der Aufklärer standen zwei Hauptparolen — Wissenschaft und Fortschritt. Dabei appellierten die Aufklärer nicht einfach an die Vernunft — denn auch die Metaphysik des 17. Jahrhunderts richtete sich an die Vernunft —, sondern an eine wissenschaftliche Vernunft, die auf Erfahrung beruht und nicht nur frei von religiösen Vorurteilen ist, sondern auch von metaphysischen, übererfahrbaren “Hypothesen“.
Der Optimismus der Aufklärung war historisch bedingt, da er die Stimmung der aufkommenden und erstarkenden Bourgeoisie widerspiegelte. Es ist kein Zufall, dass das Heimatland der Aufklärung England war, das als erstes den Weg der kapitalistischen Entwicklung beschritt. Gerade das Aufkommen der Bourgeoisie mit ihren weltlichen, praktischen Interessen erklärt den leidenschaftlichen Kampf der Aufklärer gegen die Metaphysik.
In England fand die Philosophie der Aufklärung ihren Ausdruck in den Werken von J. Locke, J. Toland, A. Collins, A. E. Shaftesbury; das englische Aufklärungsdenken wurde von den Philosophen der schottischen Schule, angeführt von T. Reid, später von A. Smith und D. Hume, vollendet. In Frankreich wurde die Aufklärung von Voltaire, J.-J. Rousseau, D. Diderot, J.-L. d'Alembert, E. Condillac, P. Holbach und J. O. Lamettrie vertreten. In Deutschland wurden die Ideen der Aufklärung von G. E. Lessing, J. G. Herder und dem jungen I. Kant getragen. Die erste philosophische Größe unter den englischen Aufklärern war John Locke (1632—1704), ein Freund von I. Newton, dessen Philosophie von Zeitgenossen als auf den gleichen Prinzipien beruhend wie das wissenschaftliche Programm des großen Physikers betrachtet wurde. Lockes Hauptwerk “Abhandlung über den menschlichen Verstand“ enthielt ein positives Programm, das nicht nur von den englischen, sondern auch von den französischen Aufklärern aufgenommen wurde.
Der gesellschaftlich-rechtliche Idealismus der Aufklärung. Der Konflikt zwischen “privatem Interesse“ und “öffentlicher Gerechtigkeit“
In Lockes Arbeiten fand sich nicht nur die Kritik der Metaphysik aus der Perspektive des Sensualismus (vom lateinischen “sensus“ — Gefühl, Wahrnehmung), der die zentrale Rolle der sinnlichen Wahrnehmung im Erkenntnisprozess betonte, sondern auch eine empirische Erkenntnistheorie. Zudem entwickelte er die Prinzipien des Naturrechts und schlug jenes naturrechtliche Ideal vor, das die Bedürfnisse der aufkommenden bourgeoisen Klasse widerspiegelte.
Laut Locke gehören zu den unveräußerten Rechten des Menschen drei Hauptrechte: das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum. Lockes Auffassung vom Recht auf Eigentum ist im Wesentlichen eng mit seiner hohen Wertschätzung der menschlichen Arbeit verbunden. Seine Ansichten ähneln der Arbeitswerttheorie von A. Smith. Locke, ebenso wie die Vertreter der klassischen bürgerlichen Politökonomie, ist überzeugt, dass das Eigentum eines jeden Menschen das Ergebnis seiner Arbeit ist. Das rechtliche Gleichheit der Individuen ist eine notwendige Konsequenz der Anerkennung dieser drei unveräußerten Rechte. Wie die meisten Aufklärer geht Locke von isolierten Individuen und deren privaten Interessen aus; das Rechtssystem sollte es jedem ermöglichen, von diesen Interessen zu profitieren, wobei die Freiheit und die privaten Interessen aller anderen gewahrt bleiben müssen.
Aus England wurden die Ideen von Newton und Locke nach Frankreich übertragen, wo sie auf begeisterte Zustimmung stießen. Vor allem durch Voltaire und später durch andere französische Aufklärer fand die Philosophie Lockes und die Mechanik Newtons breite Verbreitung auf dem Kontinent.
In der Philosophie des 18. Jahrhunderts erscheint der Mensch einerseits als isoliertes Individuum, das im Einklang mit seinen privaten Interessen handelt. Andererseits schlagen die Philosophen des 18. Jahrhunderts vor, anstelle der früheren vor-bürgerlichen Formen der Gemeinschaft eine neue — die rechtliche Universalität — zu etablieren, vor der alle Individuen gleich sind. Im Namen dieser neuen Universalität fordern die Aufklärer die Befreiung von konfessionellen, nationalen und standesmäßigen Grenzen. In dieser Hinsicht ist das Werk der deutschen Aufklärer, insbesondere das von Lessing, charakteristisch.
Jede Religion — sei es das Christentum, der Islam oder das Judentum — die nicht vom Verstand erleuchtet und nicht durch seine Kritik geprüft ist, ist nach Lessing nur Aberglaube. Gleichzeitig enthält jede dieser Religionen Wahrheit, insofern ihr Inhalt vom Geist der Moral, des Verstandes und der Nächstenliebe durchdrungen ist.
In Lessings Werk sind eindeutig protestantische Motive hörbar: Die Tätigkeit von Handwerkern, Industriellen, Kaufleuten, im Allgemeinen jede Arbeit, die dem Arbeiter Einkommen und seinen Mitbürgern Nutzen bringt, ist eine ehrbare Beschäftigung. Besonnenheit, Ehrlichkeit, Fleiß und Großzügigkeit — das sind die Haupttugenden des positiven Helden der Aufklärungsdramen und -romane.
Dieser neue Held ist der “Weltbürger“; ihm ist die Zugehörigkeit zu einer engen Welt, wie auch immer diese beschaffen sein mag, fremd; er findet “gute Menschen“ in jedem Volk, in jeder Schicht und in jeder Religion. Es ist kein Zufall, dass der “Weltbürger“, dieser Träger des “reinen Verstandes“, die bevorzugte Figur der deutschen Aufklärung wurde. Doch die Ablehnung von Traditionen und traditionell gewachsenen Gemeinschaften führte zu komplexen moralischen und ethischen Problemen. Der zentrale Konflikt, den die Philosophie des 18. Jahrhunderts zu lösen versuchte, liegt in der Unvereinbarkeit des “privaten Menschen“, d. h. des Individuums, das nur seinen eigenen Interessen, seinem Egoismus und seiner Eigennützigkeit folgt, mit dem “Menschen überhaupt“ — dem Träger von Vernunft und Gerechtigkeit. Von Hobbes bis Kant erklärten die Philosophen unmissverständlich, dass versammelte, private, egoistische Individuen nur einen “Krieg aller gegen alle“ führen könnten. Die Literatur der Aufklärung spart nicht mit Farben, um einen solchen vollendeten Egoisten darzustellen.
Was das vernünftige und rechtliche Prinzip betrifft, so ist dessen Träger nicht der empirische Individuum, das Opfer und Werkzeug seiner eigenen egoistischen Neigungen und Instinkte ist, sondern der “Mensch überhaupt“, der ideale Vertreter der Gattung, der später bei Kant als transzendentaler Subjekt bezeichnet wurde.
Zufall und Notwendigkeit
Das Zusammentreffen des egoistischen Individuums und des “Menschen überhaupt“ bildet die Grundlage des Konflikts und der Kollisionsstruktur in der Literatur des 18. Jahrhunderts. In der Regel wird die Handlung des aufklärerischen Romans — ein Beispiel dafür ist etwa das Werk von H. Fielding Die Geschichte des Tom Jones, gefundenen Kindes — durch die materiellen Umstände des Lebens der Figuren, das historische Umfeld und seine grausamen, fast tierischen Gesetze bestimmt.
In dieser Welt herrschen Macht, Reichtum und gesellschaftlicher Status der Menschen. Auf dieser Ebene bestimmt der Zufall das Leben des Menschen. Doch durch das Chaos der Zufälligkeiten beginnt langsam ein vernünftiges Prinzip hervorzutreten. Es ist das innere Würde des Menschen, sein natürliches Recht, das schließlich den Ausgang des romanhaften Konflikts bestimmt. Im Aufeinandertreffen von Zufall und Vernunft siegt die Vernunft. Doch sowohl der Zufall als auch die Vernunft erscheinen stets in unterschiedlichen Dimensionen. Und das ist nicht verwunderlich: Der Zufall ist eine künstlerische Metapher für den privaten Lebensbereich, in dem jeder auf eigenes Risiko handelt und nur seinem eigenen Interesse folgt; auf der anderen Seite des Zufalls steht die vernünftige Notwendigkeit — nichts anderes als Recht und Gesetz, die das Prinzip der Allgemeingültigkeit verkörpern sollen, gerecht für alle. Der Sieg der Vernunft über den Zufall ist der Sieg des “Menschen überhaupt“ über den einzelnen Menschen.
Ob wir nun mit der Notwendigkeit als unvermeidlicher Gesetzmäßigkeit des natürlichen Prozesses oder mit der Notwendigkeit als dem Triumph der Vernunft und Gerechtigkeit konfrontiert sind, in beiden Fällen erscheint sie jenseits des Zufalls, gewissermaßen in einer anderen Dimension. Die Entgegensetzung von Zufälligem und Notwendigem, Individuellem und Allgemeinem ist ein charakteristisches Merkmal des Denkens des 18. Jahrhunderts; die Vernunft erscheint hier als abstrakt-allgemeines Prinzip, als formales Gesetz. So begrüßten die Vertreter des französischen Materialismus (P. Holbach, D. Diderot, C.A. Helvétius) die Notwendigkeit der Natur als die einzige Macht, die die Welt und die Menschen regiert und das allgemeine Prinzip im Chaos und der Zufälligkeit individueller Handlungen und der Willkür zahlloser partikularer, privater Bestrebungen bildet. Die deutschen Aufklärer neigten dazu, diese Notwendigkeit mit dem pantheistisch verstandenen Weltgeist zu identifizieren, der im menschlichen Bewusstsein vor allem als moralisches Gesetz und im gesellschaftlichen Leben als Recht erscheint. Diese beiden Arten von Notwendigkeit — die blinde natürliche und die bewusst vernünftige — unterscheiden sich voneinander. Es ist nicht zufällig, dass die französischen Materialisten, insbesondere Holbach, die spinozistische Idee der allgemeinen Notwendigkeit annehmen, gleichzeitig aber Spinoza dafür kritisieren, dass bei ihm diese Notwendigkeit mit der höchsten Vernunft identisch ist. Im Gegensatz dazu geht die deutsche Aufklärung unter dem Zeichen des Spinozismus und Pantheismus, und Notwendigkeit im Verständnis von Lessing, Herder, Schiller, Goethe ist das zweckmäßige-vernünftige Prinzip der Welt.
So stellt die Aufklärung ein keineswegs homogenes Phänomen dar: Sie weist in England, Frankreich, Deutschland und Russland jeweils ihre eigenen Besonderheiten auf. Die geistigen Strömungen der Aufklärer verändern sich im Laufe der Zeit: Sie unterscheiden sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von denen am Ende des Jahrhunderts, vor und nach der Französischen Revolution.
Die aufklärerische Auffassung des Menschen
Charakteristisch ist die Evolution des aufklärerischen Weltverständnisses, die sich in der Haltung zum Menschen manifestiert. In der Auseinandersetzung mit dem christlichen Dogma der ursprünglichen Sündhaftigkeit der menschlichen Natur, nach dem der Mensch die Quelle des Übels in der Welt ist, behaupteten die französischen Materialisten, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Da nichts Schlechtes im Streben des Menschen nach Selbstbewahrung zu finden sei, so meinten sie, dürfe man auch nicht alle sinnlichen Neigungen verurteilen, die Ausdruck dieses Strebens sind: das Verlangen nach Vergnügen und die Vermeidung von Leiden — das ist die natürliche Essenz des Menschen, und alles Natürliche ist per Definition gut. Dies bildet die weltanschauliche Grundlage des Sensualismus der Aufklärer. Es ist kein Zufall, dass Helvétius und Condillac im Grunde das Gefühl und den Verstand gleichsetzten; und Diderot, der mit ihrer vollständigen Identifikation nicht einverstanden war, betrachtete den Verstand dennoch als “gemeinsames Gefühl“. Auch Rousseau trat für die menschliche Natur ein: Nur die Verzerrung und Unterdrückung des natürlichen Prinzips im Menschen durch die Zivilisation führe zu Übel und Ungerechtigkeit — so lautet der Glaube des französischen Philosophen. Rousseau verteidigte die These, dass Menschen, im Gegensatz zu herdentieren Tieren, im “natürlichen Zustand“ allein leben; die “Rousseau’schen Robinsonaden“ zeichnen sich durch einen sanften Charakter, Freundlichkeit und Gerechtigkeit aus.
Im 18. Jahrhundert wird somit erneut jene Tendenz in der Lösung des Problems des Individuellen und Allgemeinen, des Natürlichen und Sozialen, aufgerufen, die schon bei den antiken Sophisten vorzufinden war. Letztere unterschieden das, was “von der Natur ist“, von dem, was seinem Dasein menschlichen “Vorschriften“ verdankt. Es ist kein Zufall, dass die Sophisten als die antiken Aufklärer bezeichnet werden: Ähnlich wie die französischen Materialisten gingen auch sie davon aus, dass der Mensch ein naturgebundenes Wesen ist, und deshalb wurden sinnliche Neigungen als die hauptsächliche Bestimmung des menschlichen Wesens betrachtet. Daraus ergibt sich der Sensualismus in der Erkenntnistheorie und der Hedonismus in der Ethik der materialistischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts.
Die Besonderheit des französischen Materialismus war die Orientierung an den Naturwissenschaften, vor allem an der Mechanik. Genau diese mechanistische Weltvorstellung bildete die Grundlage der Auffassungen von Holbach, Helvétius und La Mettrie über die Welt, den Menschen und die Erkenntnis. So gibt Holbach an, dass in Wirklichkeit nichts existiere außer Materie und ihrer Bewegung, die eine Form des Seins der Materie sei. Bewegung reduziert der französische Philosoph auf mechanische Verschiebung. Daraus ergeben sich vereinfachte Vorstellungen vom Determinismus in der Natur, von Gesetzmäßigkeit und auch von der Essenz menschlicher Erkenntnis, die als passive Reflexion der äußeren Welt verstanden wird.
Mit der allmählichen Umsetzung der Ideen der Aufklärer in die Wirklichkeit — sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Bereich — wuchs zunehmend der Bedarf nach ihrer Korrektur. So enthüllte Diderot in Le Neveu de Rameau die Dialektik des aufklärerischen Bewusstseins, indem er den beliebten 18. Jahrhunderts-Gedanken der Güte der menschlichen Natur in ihrer individuell-sinnlichen Ausprägung infrage stellte. Selbstkritik des aufklärerischen Bewusstseins finden wir auch bei J. Swift, Rousseau und schließlich bei Kant, der in gleicher Weise Träger der Ideen der Aufklärung wie auch deren Kritiker war.