Ursprünge und Voraussetzungen - Deutsche klassische Philosophie - Geschichte der westlichen Philosophie

Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024

Ursprünge und Voraussetzungen

Deutsche klassische Philosophie

Geschichte der westlichen Philosophie

In der deutschen Literatur wird unter “deutscher klassischer Philosophie“ die Gesamtheit der philosophischen Lehren von I. Kant, J. G. Fichte, F. W. J. Schelling, G. W. F. Hegel und L. Feuerbach verstanden. Diese Denker vereint ein intensives Interesse an der Natur des Geistes, der durch die Konzepte von Tätigkeit und Freiheit erfasst wird, welche auch im historischen Kontext betrachtet werden. Manchmal wird die deutsche klassische Philosophie als intellektuelles Pendant zur Französischen Revolution von 1789 interpretiert. Doch in nicht minderer Weise lässt sie sich auch als Vollendung oder Weiterentwicklung der Philosophie der deutschen Aufklärung des 18. Jahrhunderts betrachten.

Das 18. Jahrhundert erwies sich für Deutschland aus philosophischer Sicht als äußerst günstig, obwohl das Land zu Beginn dieses Jahrhunderts noch deutlich hinter Großbritannien und Frankreich zurücklag. Es gab kaum philosophische Literatur auf Deutsch, und eine etablierte Terminologie fehlte ebenfalls. Der Wendepunkt in dieser Situation war das Wirken von Christian Wolff (1679—1754). Wolff erkannte die großen spekulativen Möglichkeiten der deutschen Sprache und führte eine umfassende terminologische Reform durch. Mit seinem außergewöhnlichen systematischen Talent passte er die Ideen der großen Denker des 17. Jahrhunderts, insbesondere Descartes und Leibniz, den Anforderungen der universitären Bildung an. Wolffs Schüler, wie A. G. Baumgarten, F. X. Baummeister und andere, schufen eine Reihe klassischer Lehrbücher, nach denen viele Generationen von Studenten die Grundlagen der neuzeitlichen Metaphysik erlernten.

In den 20er bis 40er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde der Wolffianismus zur einflussreichsten philosophischen Strömung in Deutschland. Doch Wolff hatte auch viele Gegner, unter denen die sogenannten “Eklektiker“ hervortraten. In dem Konflikt zwischen Wolffianern und Eklektikern entwickelte sich die deutsche Philosophie der Aufklärung. Die Eklektiker wie I. F. Budde, I. G. Walch, X. A. Krüger, I. G. G. Feder, K. Meiners und andere verbanden theologische Engagiertheit (vor allem durch die Ideen des Pietismus, einer radikalen Strömung im Luthertum) mit einer Orientierung am “gesunden Menschenverstand“, von dem sie die extravagante Wolffsche Theorie der “vorherbestimmten Harmonie“ zwischen Seele und Körper, wie sie von Leibniz übernommen wurde, attackierten. Anfangs wehrten sich die Wolffianer gegen diese Angriffe, doch allmählich setzte sich die “gesündere“ Theorie der Eklektiker durch. Ab den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts nahm der Einfluss Wolffs merklich ab. Es begann eine Periode der Unbestimmtheit und relativen Ausgewogenheit verschiedener Schulen.

Gleichzeitig setzte in Deutschland ein Boom an Übersetzungstätigkeit ein. Auf Betreiben des preußischen Königs Friedrich II., der von den Ideen der Pariser Aufklärer wie Voltaire, Rousseau, Lamettrie und anderen fasziniert war, entstand eine Mode für Materialismus und Freidenkertum. Viele französische Denker, die nach Berlin gezogen waren und Stellen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften erhalten hatten, verbreiteten in Deutschland die Theorien britischer Philosophen wie Locke, Hutcheson, Hume und andere. So bildete sich in den 50er und 60er Jahren eine besonders ideenreiche philosophische Atmosphäre, die zur Grundlage für weitreichende systematische Philosophien aller Art wurde. In der Sphäre methodologischer Untersuchungen erzielte I. G. Lambert, Autor des “Neuen Organons“ (1764), besondere Erfolge, während Johann Nikolaus Tetens (1738—1807) einen der raffiniertesten Traktate über Philosophie des Bewusstseins und Anthropologie verfasste, den “Philosophischen Versuch über die menschliche Natur und ihre Entwicklung“ (1777). Tetens versuchte, das Rätsel des Bewusstseins analytisch zu lösen, und kam zu dem Schluss, dass es aus der spontanen Aktivität der Seele bei der Veränderung psychischer Zustände hervorgeht. Diese kreative Aktivität ist eine ausschließliche Eigenschaft des Menschen. Ihr Vorhandensein erklärt die Entstehung höherer geistiger Fähigkeiten wie Vernunft und freier Wille, die im Gefühl verborgen sind. Diese Aktivität manifestiert sich nicht nur im Bewusstsein, sondern auch im ständigen Streben nach Entwicklung. Daher kann der Mensch, so Tetens, als ein Wesen beschrieben werden, das zur Vervollkommnung fähig ist. Der Einfluss von Tetens auf die nachfolgende Philosophie war jedoch eher gering. Anders war es bei I. Kant, der von Baumgarten, Krüger, Hume, Rousseau und anderen beeinflusst wurde, aber eine originelle Lehre schuf, in der er die Extreme der rationalistischen und empiristischen Methodologie überwand und einen Mittelweg zwischen Dogmatismus und Skeptizismus fand. Das Ergebnis dieser konstruktiven Bemühungen war ein monumentales philosophisches System, das revolutionäre Auswirkungen auf die gesamte europäische Philosophie hatte.