Ein Leitfaden zur Philosophie: Ein Blick auf Schlüsselkonzepte und Ideen - 2024
Die Sache, das Merkmal, die Relation
Das Sein als zentrale Kategorie der Ontologie
Sein und Bewusstsein
Der Begriff der “Sache“ tritt früh in der menschlichen Kultur auf, als der Mensch beginnt, sich selbst, sein Bewusstsein, von der umgebenden Wirklichkeit abzugrenzen. Das Bewusstsein des Selbst als eines besonderen “Ich“ ermöglicht es, alles, was jenseits meines “Ich“ liegt, als etwas Äußeres zu betrachten, also als “Sache“. So wird die Sache ursprünglich als etwas verstanden, das außerhalb des Bewusstseins steht, abgetrennt und isoliert. Man könnte sagen: Die Sache ist ein einzelnes Objekt, das über eine relative Unabhängigkeit und Beständigkeit im Dasein verfügt.
In der Geschichte der Philosophie wurde der Begriff der Sache erstmals klar von Aristoteles formuliert, der sagte, dass die Sache das sei, was Merkmale aufweist und eigenständig im Raum und in der Zeit existiert, aber selbst kein Merkmal eines anderen sein kann. Immanuel Kant führt den Begriff “Ding an sich“ ein, was bedeutet, dass wir nur die Eigenschaften der Sache erkennen können, die uns in der Erscheinung zugänglich sind. Die Essenz der Sache ist demnach nur relativ erfassbar, durch unser Verständnis ihrer Eigenschaften, die alle mit der Essenz der Sache als solcher verbunden sind. Oder wie Hegel schrieb: “Das Wesen erscheint, und das Erscheinende ist wesentlich.“
Die Abgegrenztheit der Sache im Sein hängt damit zusammen, dass sie eigene qualitative und quantitative Merkmale aufweist. Qualität ist eine solche Bestimmtheit der Sache, deren Verlust die Sache aufhören lässt zu existieren, indem sie von Sein zu Nichtsein übergeht. Quantitative Merkmale der Sache können bis zu einem gewissen Grad verändert werden, aber die Sache behält dabei ihre qualitative Bestimmtheit. Zudem ist jede Sache mit einer Vielzahl anderer Dinge verknüpft, das heißt, sie ist ein Element eines größeren Systems und erlangt in diesem Zusammenhang auch sogenannte systemische Eigenschaften.
In der Welt der menschlichen Kultur begegnen wir einer besonderen Reihe von Dingen, die ein ideal-informelles Inhalt tragen. Ein solches Ding, vom Menschen geschaffen und in die Welt der menschlichen Kommunikation und gemeinschaftlichen Tätigkeit integriert, wird als Symbol oder Zeichen im weitesten Sinne bezeichnet. Die gesamte Welt der menschlichen Kultur kann als eine von uns geschaffene Welt von Symbolsachen verstanden werden, die mit idealen Bedeutungen aufgeladen sind und eine ideale funktionale Voreinstellung besitzen. Dies ist eine der Voraussetzungen für die idealistische Interpretation der Natur, deren Eigenschaften sich aus einer idealen Essenz entwickeln, wie der absoluten Idee bei Hegel. Infolgedessen ist Erkenntnis im Wesentlichen das Entschleiern der idealen wahren Essenz, die in ihrer materiellen Erscheinungsform wie getarnt erscheint.
Aus der Sicht des Materialismus besteht die natürliche Welt aus materiellen Dingen. Hier gibt es keinen Platz für Gott oder andere ideale Wesen. Dies erklärt das bekannte Bestreben, alle idealen Phänomene als sekundäre Entstehungen zu verstehen, die von materiellen Prozessen abgeleitet sind.
Alle Dinge in der Welt (unabhängig davon, ob sie zur natürlichen Welt oder zur Kulturwelt gehören) sind zwar voneinander abgegrenzt, stehen jedoch in ständigem Wechselspiel miteinander, was sich in ihren Eigenschaften manifestiert. Genau dieses Wechselspiel bestimmt die Eigenschaften der Objekte. Angenommen, es gäbe kein Wechselspiel, so wäre die Sache für das Erkennen unzugänglich, sie würde sich nicht manifestieren. Dasselbe Ding kann im Wechselspiel verschiedene seiner Eigenschaften realisieren. Die Eigenschaften eines Dings werden im Prozess seiner Wechselwirkung mit anderen Dingen verwirklicht.
Auf dieser Grundlage lässt sich der Schluss ziehen, dass das Sein neben anderen Merkmalen ein System wechselwirkender Dinge darstellt. Die Relation ist somit die wechselseitige Bedingtheit des Seins der Phänomene, die durch räumliche oder zeitliche Merkmale getrennt sind. Erkenntnis der Sache ist die Erkenntnis der Eigenschaften derselben, die durch das System von Beziehungen bestimmt sind, in das sie objektiv eingeschlossen ist und das wir im gegenwärtigen Moment untersuchen.
Beziehungen können intern oder extern sein. Eine interne Beziehung ist die Struktur des Gegenstands, das heißt, die Gesamtheit seiner inneren Verbindungen. Sie gewährleistet seine Ganzheit und Beständigkeit, also die Qualität. Da sich ein Objekt oder eine Sache jedoch nicht im Vakuum befindet, erfährt sie Einflüsse von anderen Objekten oder Dingen. Dementsprechend hängt die innere Struktur von äußeren Einflüssen ab und kann sich unter deren direkter Wirkung verändern (sich an biologische Systeme anpassen, mechanischer Zerstörung unterliegen usw.).
Die Definition der Sache hat eine erhebliche Evolution durchlaufen. Sie nahm zunehmend abstraktere Bedeutung an: vom Begriff der Sache als äußeres Körper oder Objekt über Aristoteles' Begriff der Selbstständigkeit des Daseins bis hin zur Unterscheidung in semantische (oder symbolische), ontologische und erkenntnistheoretische Definitionen. Ontologisch betrachtet ist die Sache jeder Träger von Merkmalen. Erkenntnistheoretisch ist sie jedes Objekt des Denkens. Semantisch ist sie etwas, das bezeichnet oder benannt werden kann, das heißt, sie besitzt eine ideal-informelle Dimension.
Gleichzeitig mit dieser Entwicklung vollzog sich der Prozess der Konkretisierung des Begriffs der Sache oder genauer gesagt die Vergrößerung des “Konkretheitswissens“ über die abstrakt verstandene “Sache“. Die Aufgabe bestand darin, die Merkmale der Sache zu präzisieren. Alle Sachen besitzen einige gemeinsame Merkmale, die sich in solchen Kategorien wie “Qualität und Quantität“, “Wesen und Erscheinung“, “Allgemeines und Einzelnes“ widerspiegeln. Hier ist es wichtig zu verstehen, wie unter den Merkmalen der Sache das Merkmal und die Relation unterschieden werden. Nach Aristoteles bezeichnet ein Merkmal ein einzelnes Attribut, das einem Träger zukommt. Eine Relation hingegen ist ein Merkmal, das mehreren Trägern zukommt. So verbindet die Relation gewissermaßen alle Dinge nach einer bestimmten Art der Beziehung, während das Merkmal im Gegensatz dazu die Dinge abgrenzt und sie von anderen abhebt.
Somit stellen natürliche Dinge materielle Gebilde dar, die in relativ stabile Bewegungssysteme eingebunden sind. Dinge beeinflussen sich durch diese Bewegungen gegenseitig. Das Wechselspiel der Dinge erzeugt bei ihnen eine Reihe neuer Eigenschaften und offenbart zugleich ihre relative Selbstständigkeit. Ebenso sind kulturelle Symbole als ideal-materielle Gebilde immer in das System menschlicher Beziehungen eingebunden, wodurch sie nur in diesem Prozess ihre immanenten Eigenschaften manifestieren und nur in ihm neue systemische Eigenschaften erlangen.